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An Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling

Gegenwärtiger Brief und seine Beilage, die ich wohl lieber niemals abgeschickt hätte, wird Sie nun wahrscheinlich in Würzburg treffen, wo ich Ihnen Glück und Gedeihen wünsche.

Wir flicken unsere alten akademischen Zustände und, nach Eigenschaft lebendiger Wesen, so ist auch hier jene Hülfe die beste, die sich, bei geringer Anregung, die Natur selbst giebt. Sie finden sich in einem neuen Zustand, der sich auf eine sonderbare Weise bildet; möge viel Gutes durch und für Sie entspringen.

Das jenaische kritische Institut gewinnt viele active Theilnehmer. Eine solche Gesellschaft wird nach und nach einer unsichtbaren Akademie ähnlich, [365] die aus einer Menge geheimer Lehrstühle besteht, von wo herab sich so heterogene Naturen aussprechen, als immer auf einer sichtbaren Akademie geschehen mag.

Daher könnte ich, bei allem guten Fortgang, der Sache keinen Geschmack abgewinnen, wenn man sich nicht entschlossen hätte eine Einleitung zu treten, welche Sie aus einer abschriftlichen Anfuge kennen lernen.

Dadurch wäre ein für allemal ausgesprochen, was sich in der Ausführung ohnehin ergeben würde: daß hier von keinem anmaßlichen Ganzen, sondern von einem Nebeneinandersein gleicher, ähnlicher, ungleicher und unähnlicher Ansichten und Gesinnungen die Rede sein könne.

Möchten Sie denn wohl auch dieser Anstalt, mit oder ohne Chiffer, die Recension irgend eines bedeutenden Werkes zuwenden? Vielleicht findet sich eins, das Sie günstig darstellen, dessen Verdienste Sie vor den Augen des Publikums entwickeln möchten. Was wir an andern billigen, versetzt uns selbst in eine productive Stimmung und diese wirkt immer wohlthätig.

Leben Sie gesund und froh und gedenken mein im schönen Franken. Mich kann Ihre Imagination noch immer in den einsamen Zimmern des jenaischen alten Schlosses finden, wo mich die Erinnerung der Stunden, die ich daselbst mit Ihnen zugebracht, oft zu beleben kommt.

[366] Schließlich melde ein Ihnen gewiß nicht unangenehmes Ereigniß: Wir haben einem würzburger Künstler Martin Wagner, den Sie der Michaeliskirche gegenüber erfragen können, unsern diesjährigen ganzen Preis von 60 Ducaten zuerkannt.

Können Sie etwas von Ihrer Seite thun ihn hervorzuziehen, weil er wenige Mittel zu haben scheint; so werden Sie sich Verdienste um die Kunst und Freude zugleich machen. Es ist, recht genau besehen, unglaublich, was er in seiner Lage geleistet hat, ob gleich noch manches zu erinnern ist.

Können Sie ihm den Unterschied zwischen allegorischer und symbolischer Behandlung begreiflich machen; so sind Sie sein Wohlthäter, weil sich um diese Axe so viel dreht.

Glauben Sie, daß es Herr Graf v. Thürheim freundlich aufnimmt, wenn ich ihm diesen jungen Mann empfehle; so werde ich es mit Vergnügen thun. Besonders wenden Sie allen Ihren Einfluß an, daß er gerade nach Rom und nicht zuerst nach Paris geht; denn diese falsche Instradation verwindet das größte Talent nicht.

Ein herzliches Lebewohl.

Jena, den 29. Nov. 1803.

Goethe. [367]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1803. An Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6DB5-7