31/51.

An Carl Cäsar von Leonhard

[Concept.]

Da ich das Schulden- und Sündenregister vom vorigen Jahre, nach der höchst lebhaften, geschäftigen Bewegung am Schlusse, zu gegenwärtiger ruhiger Stunde freundschaftlichen Pflichten gemäß durchgehe, finde ich, daß ich gegen Ew. Hochwohlgeboren sehr im Rückstand bin, der mich schon die ganze Zeit über schwer gedrückt hat. Sie haben, verehrter Mann, Aufmerksamkeit und Mittheilung ununterbrochen fortgesetzt, wenn ich auch schweigsam blieb, indem Sie sich wohl überzeugen konnten, daß bei mir eine unveränderliche Neigung, Dankbarkeit und Zutrauen obwaltet.

Sechs Wochen in Carlsbad mußten meine alte liebevolle Behandlung der böhmischen Gebirge wieder anregen. Die Gegenwart derer Herrn Schweigger, Weiß u.a.m. erhöhten meinen Antheil an diesen Gegenständen. Ein kurzer Aufenthalt in Schlackenwalde und höchst merkwürdige ältere und neuere daselbst gefundene Mineralien, die ich mir zueignen konnte, gaben viele Lust und erfrischten Liebhaberey [50] und Studium. Vom Karpholithen besonders gewann ich eine sehr bedeutende Stufe, so wie denn auch die Mannigfaltigkeit meiner früheren Sammlung zur Zinnformation sich gar schön bereichert hat.

Der gute, alte Joseph Müller in Carlsbad ist endlich auch abgeschieden und hat seine Gebirgsarten in großer Unordnung hinterlassen. Seine Erben vermehrten dieselbe, indem sie, um den Platz zu nutzen, in einem gewölbartigen Zimmer alles über einander häuften. Nur mit Mühe habe ich aus der ganzen Gegend wieder ein Exemplar der ehemals von mir beschriebenen Sammlung zusammengebracht. So viel erzähle nur, daß Ew. Hochwohlgeboren sich überzeugen: es lebe noch immerfort in mir ein geologisch-mineralogischer Funke, der in der Nähe wie in der Ferne manche Nahrung findet.

So haben wir ganz nahe bei Weimar treffliche fossile Knochen neuerdings entdeckt: eine halbe Oberkinnlade mit Zähnen, ganz dem Paläotherium ähnlich, mit Resten von Elephanten, Hirschen, Pferden und was sich sonst zusammen zu halten pflegte. Doch ist das Wundersamste, daß ein einziger Bäreneckzahn unter allen diesen und zwar zum erstenmal in unserer Gegend gefunden worden.

Professor Renner, der in comparirter Anatomie fortfährt höchst thätig zu seyn, treibt auf die Publication dieser Ausgrabungen, vielleicht gelingt uns auch dieses im Laufe des Jahres. Was mich immer [51] abgehalten hat daran zu denken ist die Schwierigkeit, ein echtes geologisches Niveau darzustellen, wie diese Reste in verschiedenen Tiefen liegen, und bezüglich zur übrigen Gegend. Ich habe viele Puncte beobachtet im Ilm- und Unstrutthale, wo dergleichen vorkommen, und habe auch nähere Maaßbestimmungen öfters angeregt, allein die Menschen haben über der Erde so viel zu thun, daß man sie in die Kies- und Tuffsteinbrüche nicht leicht hineinbringen kann, wenn einmal Haus- und Wegebaumeister versehen sind. Vielleicht kann ich im nächsten Jahre etwas weiter ausreichen.

Breislacks, zu Mailand, geologisches Werk giebt zu mancherley Betrachtungen Anlaß. Werners ruhige Seele war kaum von uns geschieden, als die Flötz-Trapp-Formation, die und bisher beschwichtigte, auf einmal wieder in feurigen Tumult gerieth. Alles eilt, wieder zu den Fahnen des Vulkanismus zu schwören, und weil einmal eine Lava sich säulenförmig gebildet hat, sollen alle Basalte Laven seyn, als wenn nicht alles Aufgelöste, durch wässerige, feuerige, geistige, luftige oder irgends eindringende Mittel in Freiheit gesetzt, sich so schnell als möglich zu gestalten suchte. Wenn ich Zeit finde, so setze ich hierüber mein Glaubensbekenntniß auf. Wie Sie in so viel jüngeren Jahren, der Sie noch eine Weile der Sache zusehen können, es damit halten wollen, bin ich verlangend, früher oder später zu erfahren.

[52] Möge Ihr fortgesetzter Aufenthalt in Heidelberg Ihren Geschäften und Studien durchaus förderlich seyn. Daß unsere Boisserée's wegziehen, ist Ihnen wohl auch kein erfreuliches Ereigniß.

Weimar den 8. Jänner 1819.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Carl Cäsar von Leonhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6DCA-C