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An Carl Friedrich Zelter

Auf deine reichen wohlausgestatteten Briefe steht schon von Zeit zu Zeit eine freundliche Erwiderung auf dem Papiere. Nach einigen Tagen aber will's mir schon nicht recht geeignet seyn, da es in allzu großer Zerstreuung dictirt ist. Ich mußte vor allem die Existenz guter Menschen wenigstens auf ein Jahr sichern, und so kommt denn die artige Facius mit Doris wieder zu euch zurück. Herrn Rauch schreibe ich ausführlich und es wird sich alles, wie ich hoffe, zu Nutzen und erfreulicher Förderniß fügen und richten.

Die werthe Doris scheint sich hier ganz munter und theilnehmend zu befinden; sie kommt gerade zur rechten Zeit, wo alles in Bewegung bey uns ist und es sogar in meinem Hause ein wenig verrückt zugeht. Vor einigen Tagen führten sie in einem Privathause ein Quodlibet von Repräsentation-Fragmenten auf, unter Direction von Ottilien, welche sich auf dergleichen Dinge gar gut versteht und deshalben aufgefordert und gehorcht wird.

Doris ist jetzt nach Jena und hat etwas von den Fischen mitgenommen, weil es dazu gehört; wie ich mir denn überhaupt deine Historie merken werde.

Nun von deinen Medaille zu reden, so kann man mit derselben gar wohl zufrieden seyn; der Kopf ist natürlich [220] und tüchtig, mit dem Wappen bin ich erst recht einig, seit es Hofrath Meyer, bey'm ersten Anblick, gleichsam überrascht, welches ihm nicht leicht begegnet, für hübsch und gut erklärte. Er wußte nämlich zeither von der ganzen Sache nichts.

Und so wären wir denn zwischen Scylla und Charybdis, zwischen den altmodernen Allegorien und den calvinischen trocknen Inschriften durchgeschlüpft. Wenn es greift, finden wir viele Nachfolger; denn, da man den Adel der alten Familien aufheben will, so müssen die neuen sich in Besitz setzen und wieder eine Familie gründen, so gut es gehen will, deshalb auch ihre Wappen und Decorationen aufhängen.

In Gefolg dessen darf ich nicht aussprechen wie sehr mir die Rückseite von Hegels Medaille mißfällt. Man weiß gar nicht was es heißen soll. Daß ich das Kreuz als Mensch und als Dichter zu ehren und zu schmücken verstand, hab ich in meinen Stanzen bewiesen; aber daß ein Philosoph, durch einen Umweg über die Ur- und Ungründe des Wesens und Nicht-Wesens, seine Schüler zu dieser trocknen Contignation hinführt, will mir nicht behagen. Das kann man wohlfeiler und besser aussprechen.

Ich besitze eine Medaille aus dem 17. Jahrhundert mit dem Bildnisse eines hohen römischen Geistlichen; auf der Rückseite Theologia und Philosophia, zwey edle Frauen gegen einander über, das Verhältniß [221] so schön und rein gedacht, so vollkommen genugthuend und liebenswürdig ausgedrückt, daß ich das Bild geheim Würdigen anzueignen.

Wegen der jungen Leute, deren Wesen und Treiben man nicht billigen kann und sie doch nicht los wird, lebt man in- und auswendig immerfort im Streite. Oft bedaure ich sie daß sie in eine verrückte Zeit gekommen, wo ein starr-zähler Egoismus auf halbem oder gar falschem Wege sich verstrockt und die reine Selbstheit sich auszubilden hindert. In der Folge, wenn ein freyer Geist gewahr wird und ausspricht was gar wohl einzusehen und auszusprechen ist, so müssen gar viele gute Menschen in Verzweiflung gerathen. Jetzt gängeln sie sich in schlendrianischen Labyrinthen und merken nicht was ihnen unterwegs bevorsteht. Ich werde mich hüten deutlicher zu seyn, aber ich weiß am besten was mich im höchsten Alter jung erhält, und zwar im praktisch-productiven Sinne, worauf denn doch zuletzt alles ankommt.

und so fortan!

W. d. 27. Jan. 1832.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6DEC-F