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An den Großherzog Carl Augustund die Großherzogin Louise

[Concept.]

Königliche Hoheiten!

Wenn die ersten vierzehn Tage in Marienbad ohne sonderliches Interesse vorübergegangen, desto reicher an mannichfaltigen Guten waren die drey folgenden[100] Wochen, auf den Grad, daß ich mich nächstens nach Eger zurückziehen werde, um der Pflicht, einiges vernehmen zu lassen, wenigstens versuchsweise nachzuleben. Vorläufig also werde Folgendes genehmigt.

Ein bey dem Prälaten in großer Gesellschaft, von schönem Wetter begünstigt, eingenommenes Mittagsmahl gab, des schrecklichen Weges ungeachtet, Vergnügen und Belehrung. Er theilte mir einige franzözische Missionsreden von Fraisinon de la Mennai, in Übersetzung mit, die mein Erstaunen erregten. So mächtige Schritte nach entschiedenem ziel, so viel Umsicht, Übersicht und Methode im Ganzen, so viel redekünstlerische gewandte Kühnheit im Einzelnen finden sich nicht leicht beysammen. Ich begriff nun jene große Wirkung und die erregte gewaltsame Gegenwirkung. In diesen Reden ganz päpstlich-royalisti schen Inhalts findet sich keine Spur von Mönchthum und Pfäfferey.

Der Prälat ließ mich in die Wiener ähnlichen, zwar nicht so geistreichen, aber doch genugsam wirkenden Bemühungen hineinsehen, von denen mündlich zu referiren mir vorbehalte.

Übrigens füge ein Kärtchen hinzu, um anschaulich zu machen, wie 2000 Fuß über der Meeresfläche Religion sich ganz sicher und bequem anzusiedeln wußte.

Ein russischer Fürst, Labanoff de Rostoff, war mein freundlicher Wandnachbar. Ein junger Mann voll Lebhaftigkeit, Adjutant des Kaisers, der sich in Campagnen, [101] Reisen, Missionen, Botschaften von früh herauf getummelt hatte, wobey eine seinem Alter angemessene Gesundheit freylich verloren ging. Obgleich von der Cavallerie, hat er bey entschiedene Vorliebe für die Marine sich auch auf den Wellen versucht. Alles dazu Nöthige, dahin Bezügliche interessirt ihn leidenschaftlich. Er besitzt eine ausgebreitete Sammlung Karten und Plane, deren Katalog er in der Muße des Bades zu ordnen unternahm. Er führte hiezu die sämmtlichen ausgeschriebenen Zettel in Packetchen mit, woraus sich der große Umfang der Sammlung gar wohl beurtheilen ließ.

Auch habe ich bey ihm Taschen- und Tischuhren gesehen von Breguet in Paris, die freylich alles zu übertreffen scheinen was man in dieser Art je gearbeitet.

Schon gekannte Personen waren freundlich und gesellig. Graf Luxburg, von Firks, von Bülow mit ihren Gattinnen, letzterer sehr zu bedauern, doch nicht ohne Hoffnung, sich von einer schlagartigen Lähmung an den Marienquellen zu erholen.

Was mich selbst betrifft, konnte ich sehr zufrieden seyn. Die Quellen waren bey anhaltender Trockniß concentrirt gehaltreich. Im ganzen sagte mir wie immer die hohe Lage zu. 2000 Fuß über der Meeresfläche lastet die Atmosphäre bedeutend weniger auf uns. Auch habe ich Wolkenerscheinungen genau beobachtet und ihre Eigenthümlichkeit auf und über diesen Höhen genau beschrieben und aufgezeichnet.

[102] Von mineralogischen und geologischen Ausflügen wäre manches zu erzählen, wenn ich nicht vor allem andern ankündigen müßte, daß Graf Sternberg den 11. Juli in Marienbad angekommen, wodurch denn mein dortiger Aufenthalt eine ganz andere Gestalt gewann.

Ich darf wohl sagen daß mir, seidem ich Grafen Reinhard in Carlsbad begegnete, kein solches Glück wieder geworden.

Wie wichtig ist es in einen Mann von diesen Jahren, von solcher menschlichen, welt- und wissenschaftlichen Bildung anzutreffen, eine vollkommene Mittheilung möglich zu finden und durch wechselseitiges Empfangen und geben des größten Vortheils zu genießen. Sollte man wünschen, ihn früher gekannt zu haben, so läßt sich erwidern: daß man zwey Reisende, aus zwey entfernten Weltgegenden nach einem Puncte strebend, auf demselben zusammentreffen, um nun ihren Erwerb zu vergleichen, und das einseitig Gewonnene wohlwollend austauschen, so ist es vortheilhafter, als wenn sie die Reise zusammen angetreten und zusammen vollendet hätten.

Er ist aus einer Zeit wo sich Aussichten hervorthaten, Gesinnungen entwickelten, Studien besondere Reizung ausübten, zu denen allen ich mich selbst bekenne. Eine solche Annäherung ist mir daher unendlich werth, weil eine neue Generation, unter andern Bedingungen geboren, zu andern Zuständen erzogen,[103] durch Verdienst und Unverdienst von den älteren absteht, und so waren wir denn zwey Wochen beysammen, wo Tausendfältiges zur Sprache kam. Auch nahm er, nach gefälliger Weise, an Haus- und Tischgenossen heitern Antheil und ich erwarte ihn nun in Eger, wohin ich voraus ging, theils um mich zu sammeln, theils im naturhistorischen Fache manches ihm vorzubereiten, da er nur wenige Tage sich aufzuhalten denkt. Er eilt mit Professor Pohl, dem brasilianischen Reisenden, nach München, um sich dort im Natursache umzusehen, so wie in andern, da sein Hauptgeschäft gegenwärtig zu seyn scheint, das Museum in Prag zu errichten, wohin er patriotisch seine bedeutende Sammlung zu stiften geneigt ist.

In gar manchen Capitel habe durch ihn sehr schöne Nachweisung und Aufklärung erhalten; ein fortgesetztes thätiges Verhältniß wird beiden Theilen zu Nutzen und Frommen gereichen.

Noch vor Absendung dieses Blattes kam Graf Sternberg mit Dr. Pohl und Berzelius, einem namhaften schwedischen Chemiker, bey mir an; die Unterhaltung war so lebhaft als lehrlich. Aus den fernsten Weltgegenden so wie aus den wichtigsten Regionen der Naturwissenschaft ergaben sich Mitheilungen aller Art. Die Absicht des Grafen in München ist höchst löblich und edel, man will es dahin zu bringen suchen, daß die bayerischen mir den österreichischen Naturforschern und Sammlern bey der eroberten Schätze [104] sich über die verschiedenen Fächer besprechen und verständigen, damit nicht doppelt und doch stückweise der Gewinn vor dem Publicum erscheine; hiernach könnte Arbeit und Kosten den Unternehmern und schwere Zahlung dem Publicum erspart werden. Möge ein so wohl überdachter Plan glücklich von statten gehn.

Und so bleibe mir zuletzt eine geziemende treue Bitte noch übrig: möchten Höchst Dieselben mich mit fortdauernder Huld und Gnade beglücken, in dem Kreise und bey nächster Zurückkunft Vergünstigung und Gelegenheit zu mannichfaltiger Mittheilung gnädigst gewähren.

Eger den 1 August 1822.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An den Großherzog Carl Augustund die Großherzogin Louise. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6E3C-2