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An Carl Friedrich Zelter

Deinen lieben Brief erwiedere sogleich. Es freut mich daß Wolff gefallen hat, und durch dich zu wissen wie und warum. Die Weimarischen Schauspieler gelten am meisten wenn sie mit einander wirken, es ist mir aber lieb zu hören, daß auch der Einzelne etwas vom Ganzen mit sich fortträgt.

Ao. 1803, im August kamen zwey junge Leute, Grüner und Wolff, hieher, die Gesellschaft war in Lauchstädt, ich hatte Zeit und Humor und wollte einen Versuch machen diese beyden, eh jene zurückkämen, auf einen gewissen Punct zu bringen. Ich [3] dictirte die ersten Elemente, auf welche noch niemand hingedrungen ist. Beyde ergriffen sie sorgfältig und Wolff ist davon nie gewankt noch gewichen, deswegen er auch zeitlebens die schönste Sicherheit behalten wird. Daß Grüner in Wien sich zum mächtigen Schauspieler ja zum Director aufgeschwungen, zeigt, daß auch er an einem gewissen Fundamente gehalten habe. Beyde waren mit Glauben und Neigung zu mir gekommen, der eine den Militär-, der andere den Kaufmannstand verlassend, und beyde haben es nicht übel getroffen. Vor einigen Tagen, als ich alte Papiere ausklopfte, fand ich noch das Concept eines Briefs an Wolffs Mutter, der sich auch jetzt noch recht artig ausnimmt. Zugleich das Concept von jenem Katechismus oder a b, ab; vornehmer könnte man es auch euklidische Elemente nennen. Vielleicht verführen mich diese Bogen, daß ich die Sache nochmals durchdenke. Sie gehen nicht weit hinein, denn die Gesellschaft kam zurück und nun mußte alles practisch werden.

Wir hatten aber damals soviel Lust zu leben und zu theatrisiren, daß mich im Winter ein Theil der Gesellschaft in Jena besuchte um unsere Übungen fortzusetzen. Durch den Schnee war die Schnecken impracticabel geworden, Grüner verlor das Heft, das er in der Tasche als einen Talisman trug, welches er aber einige Tage nachher wieder bekam, indem er in allen Schenken Lärm geschlagen und es glücklicherweise ein Fuhrmann aufgelesen hatte.

[4] Wenn du Dlle Maas siehst, so erinnere sie freundlicherweise an diese Geschichten, die sie auch mit erlebt hat und nicht ohne einiges Vergnügen. Ich war ihr nämlich sehr gewogen wegen ihrer großen Ruhe und allerliebsten klaren Recitation, deshalb ich einmal in einer Probe von Tell entsetzlich bös über sie wurde, weil sie sich, Gott weiß warum! maulfaul erwies. Du siehst, mich hat deine freundliche Nachricht in frühere Zeiten hingewiesen, wo das rein und richtig gewirkt wurde, was späterhin fortwirkt. So lebe ich jetzt auf eine eigne Weise in meinem Sicilianischen Leben und sehe nun jetzt erst, was zehn Wochen in diesem Lande auf mich gewirkt haben.

Nun zu einem andern Texte: Wenn man dir künftig von meiner Krankheit berichtet, so glaube es nicht, sagt man dir ich sey todt, so denke es nicht. Mit dem letzten was zu dir gekommen ist, verhält es sich freylich etwas wunderbar, deshalb merke nun auf.

Das Fest der Huldigung sollte am Sonntag Palmarum den 7. April vor sich gehen und so eigentlich der Schlußstein eines neuen Gewölbes nach vielen zerstörenden Leiden eingesetzt werden. Den 2. April wurde ich von einem wunderlichen, nicht gefährlichen, aber doch starken rheumatischen Übel befallen, daß ich mich zu Bette legen mußte, nach meiner Einsicht schien es beynahe unmöglich den 7. an meinem Platze zu seyn. Da fiel mir glücklicherweise ein Napoleontischer [5] Spruch in's Gedächtniß: l'Empereur ne connoit autre maladie que la mort, und ich sagte daher dem Arzte, daß ich, wenn ich nicht todt wäre, Sonntag Mittag um 12 bey Hof erscheinen würde. Es scheint daß der Arzt und die Natur sich diesen tyrannischen Spruch zu Gemüthe genommen haben denn ich stand Sonntag zur rechten Stunde an meinem Platze, rechts, zunächst am Thron, zugleich auch konnt ich noch bey Tafel allen mir obliegenden Schuldigkeiten genug thun. Nachher aber zog ich mich wieder zurück und legte mich in's Bette, um zu erwarten, bis etwa der kategorische Imperativ uns wieder auf Leib und Leben hervorriefe. Bis jetzt ist es auch recht gut gegangen. Ich hatte mich schon früher resignirt bis Johannis zu Hause zu bleiben, wie du es auch thun mußt, denn die vor Jahr und Tag nach außen gewendeten empirischen Gewalten wenden sich nach Gottes Willen jetzt nach innen; auch nur empirisch, aber wir müssen Gott danken daß es so ist. Wenn wir jetzt zu Hause verharren, so können wir unglaublich viel Gutes thun, weil das sich Neugestaltende immer eine unglaubliche Lust hat sich unzugestalten, um nur einen Schlendrian, über den das ungeheure Unglück uns hinausgehoben hat, wieder mit größter Behaglichkeit einzuphilistriren.

Was willst du denn nun aber sagen, wenn ich dir erzähle, daß ich in diesen Tagen auch derb gedroschen worden bin. Das gute Berka an der Ilm, [6] wo wir zusammen mit Wolf und Weber und Duncker auf so mannigfaltige Weise gelebt haben! denke dir nun erst das hübsche Wiener Clavier des Organisten Schütz, seine Sebastian, Philipp Emanuel Bache u.s.w. dieses Berka ist vom 25. auf den 26. April von der Erde weggebrannt. Mit ungeheurer Geistesgegenwart und mit Hülfe von Wohlwollenden ist das Clavier gerettet und noch manches vom Haushalt, worüber man erstaunt, höchstens in 7 Minuten: denn ein gewaltsames bey einem Bäcker aufgetriebenes Feuer warf um halb zwölf in der Nacht die Flammen rings umher. Alle des Organisten alte von Kittel in Erfurt noch erworbene Bache und Händel sind verbrannt, und bloß durch einen närrischen Zufall oder Zurichtung daß er sie aus der bisherigen Unordnung in Ordnung in eine etwas abgelegene Cammer gebracht.

Alle diese Dinge sind gewiß schon gestochen und gedruckt, zeige mir an wie ich sie bey Härtels in Leipzig oder sonst zu finden habe, denn ich möchte ihm gern von dieser Seite etwas Erfreuliches entgegen bringen. Gott segne Kupfer, Druck und jedes andere vervielfältigende Mittel, so daß das Gute, was einmal da war, nicht wieder zu Grunde gehen kann. Siehst du Geheimerath Wolf, so sag ihm das Allerfreundlichste, sag ihm aber auch daß bey diesem Brande das vermaledeyte Trompeterstückchen gerettet worden sey, durch den sonderbarsten Zufall, daß es bey mir [7] in der Stadt war, wie denn auch noch manches durch Vertheilung übrig geblieben.

Schreibe mir mit eben der Reinheit und Ruhe wie sich die Wolff präsentirt, wenn du sie ohne Vorbild siehst, oder wenn du sie öfters gesehen hast, so auch mit ihm. Ich kann mit keiner Relation einig werden als mit der deinen, ich selbst seh es nicht so gut, denn entweder ich verhalte mich productiv, d.h. ich will daß derjenige der es jetzt nicht ganz recht macht besser machen solle und ich glaube daran daß er's besser machen werde, oder ich verhalte mich umgekehrt, daß der Unglaube eintritt, daß ich verfluche was geschieht, weil ich mich schäme erwarten zu können, daß es besser werden dürfte.

Die moralische Weltordnung erhalte dich.

Weimar d. 3. May 1816.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6E5E-5