13/3736.

An Friedrich Schiller

[17. Februar.]

So sehr ich die Unvollkommenheit jenes ersten Versuches fühlte und fühle, so ein großes Vertrauen habe ich doch auf eine bessere Ausführung, bey der Sie gewiß, wenn wir nur erst wieder zusammenkommen, aufs nachdrücklichste beystehen werden.

Der Hauptfehler jener Arbeit, den Sie auch mit Recht bemerken, ist daß ich nicht immer bey dem nämlichen Subject geblieben bin, und daß ich bald Licht bald Farbe bald das allgemeinste bald das besonderste genommen habe.

Das hat aber gar nichts zu sagen! – Wenn man statt Einer Tabelle drey macht, und sie ein halbduzendmal umschreibt, so müssen sie schon ein ander Ansehen gewinnen.

Ich glaube zwar selbst daß die empirische Masse von Phänomenen, die, wenn man sie recht absondert und nicht muthwillig verschmilzt, eine sehr große Zahl ausmachen und eine ungeheure Breite einnehmen, sich zu einer Vernunfteinheit schwerlich bequemen werden, aber auch nur die Methode des Vortrags zu verbessern ist jede Bestrebung der Mühe werth.

Auch ist meine Eintheilung diejenige die Sie verlangen.

1. In Beziehung aufs Auge

physiologische.

[67] 2. in Beziehung auf Licht und Finsterniß

physische

welche alle ohne Mäßigung und Gränze nicht bestehen und von denen die prismatischen nur eine Unterabtheilung sind.

3. Chemische die uns an Körpern erscheinen.

Wenn man diese Eintheilung auch nicht weiter als zum Vortrage zugeben will, so kann sie doch nicht entbehrt werden und bis jetzt weiß ich keine andere zu machen.

Was mich aber eigentlich zu jenem Schema nach den Kategorien geführt hat, ja was mich genöthigt auf dessen Ausführung zu bestehen, ist die Geschichte der Farbenlehre.

Sie theilt sich in zwey Theile, in die Geschichte der Erfahrungen und in die Geschichte der Meinungen, und die letztern müssen doch alle unter den Kategorien stehen.

Eine Sonderung ist daher höchst nöthig, vorzüglich weil man sonst nicht durch die neuern Aristoteliker durchkommt, welche die ganze Naturwissenschaft und besonders auch dieses Capitel ins metaphysische, oder vielmehr ins dialektische Fach spielten. Dabey, scheint mirs, haben sie wirklich die möglichen Vorstellungsarten erschöpft, und es wäre interessant sie in einer reinen Ordnung neben einander zu sehen. Denn weil die Natur von so unerschöpflicher und unergründlicher Art ist daß man alle Gegensätze und Widersprüche [68] von ihr prädiciren kann, ohne daß sie sich im mindesten dadurch rühren läßt, so haben die Forscher von je her sich dieser Erlaubniß redlich bedient, und auf eine so scharfsinnige Art die Meinungen gegen einander gestellt daß die größte Verwirrung daraus entstand, welche nur durch eine allgemeine Übersicht des Prädicabeln zu heben ist.

Ich bin überzeugt und es wird sich in der Folge darthun lassen daß das Newtonische System nach und nach sich so viele Bekenner erwarb, weil ein Emanations– oder Emissionssystem, wie mans nennen will, doch immer nur eine Art von mystischer Eselsbrücke ist, die den Vortheil hat aus dem Lande der unruhigen Dialektik in das Land des Glaubens und der Träume hinüber zu führen.

Das erste meo voto sollte also seyn: die Lehre vom Licht und von den Farben im allgemeinsten, jede besonders, nach den Kategorien aufzustellen, wobey man sich alles empirisch einzelnen enthalten müßte.

Das empirisch einzelne ist nun schon nach den drey Eintheilungen, die mit Ihren geforderten übereinstimmen, aufgestellt. Nächstens erhalten Sie wohl das Schema über das Ganze, Sie werden sich über die ungeheure Masse verwundern, wenn Sie solche nur erst im Detail sehen.

Alles rückt in übersehbare Ordnung zusammen, und ich werde mich hüten irgend einen Theil auszuarbeiten, bis ich an meinem Schema nichts mehr [69] zu bessern weiß, dann ist aber die Arbeit so gut als gethan. Ich bitte Sie um gefälligen Beystand, durch Einstimmung und Opposition; die letzte ist mir immer nöthig, niemals aber mehr als wenn ich in das Feld der Philosophie übergehe, weil ich mich darin immer mit Tasten behelfen muß.

Ich habe diese Woche ein Duzend Autoren, die in meinem Fache geschrieben haben, nur flüchtig durchgesehen, um für die Geschichte einige Hauptmomente zu finden, und fühle ein Zutrauen daß sich aus derselben etwas artig-lesbares wird machen lassen, weil das besondere angenehm, und das allgemeine menschlich weitgreifend ist. Indessen fürchte ich und wünsche ich, daß der momentane Trieb zu dieser Materie mich bald verlassen und einem poetischen Platz machen möge. Doch kann ich immer zufrieden seyn daß ich in meiner jetzigen zerstreuten Lage noch ein Interesse habe das mich durch alles durchhält.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1798. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6E9F-4