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An Carl Ludwig von Knebel

Ein so erfreulicher Anblick als deine nunmehr vollendeten Bände mir gewähren, theurer verehrter Freund! ist im Leben höchst selten. Was entwickeln sich nicht alles für Erinnerungen, was für eine Zeitenreihe thut sich auf, wenn man deiner standhaften Arbeit gedenkt. Lohne die Gegenwart und die Zukunft dein treues Bemühen!

[280] So wäre dir denn gestern Abend schon höchst angenehm begegnet, wenn du unter uns gewesen wärest. Ober-Baudirector Coudray ergriff das zufällig auf dem Tische liegende Exemplar und las mit sehr gutem Vortrage, welcher immer besser werde, als der Geist des Gedichts ihn mehr und mehr ansprach, und er sich von der Klarheit deiner Darstellung und dem Natürlich-Anmuthigen deiner Verse enthusiastisch angeregt fühlte. Wolltest du ein Exemplar ohne lateinischen Text an ihn wenden, so würde es die besten Früchte bringen, weil er gut und gern in Gesellschaften vorlies't.

Mein Wanderer wird nächstens bey dir anklopfen; der Buchbinder hält mich auf, sonst wäre er schon geschehen.

Die Herrschaften sind nun alle nach außen, und es herrscht bey uns eine große Stille. Aus meinem Gebiet kann ich mich daher um desto weniger entfernen, als die lange Gewohnheit, zu Hause zu bleiben, erst abgeschüttelt seyn will. Die gute Vorsorge meiner Kinder bereitet und unterhält mir die beste Bequemlichkeit und fesselt mich an, doch will ich nun suchen mich einigermaßen mobil zu machen und zu allererst bey dir freundlich einsprechen.

Grüße mir die lieben Deinigen; auch versäume nicht, wenn du Doctor Gries begegnest, für die Tochter der Luft ihm doppelt und dreyfach zu danken. Mir ist es das herrlichste von Calderons Stücken, [281] und ich halte es für eines seiner spätern. Ich bin dem Übersetzer sehr verpflichtet, der alles so treu und rein wiedergegeben; ich werde nicht ermangeln, es bey Calderon zu rühmen, wenn ich ihn drüben begegne.

Des Herrn Canzlar von Müller Gefälligkeit Gegenwärtiges mitzunehmen nöthigt mich zu einem eiligen Schluß, welchem die besten Wünsche hinzufüge.

treulichst

Weimar den 13. Juni 1821.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6EBD-2