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An den Herzog Carl August

Seitdem Hofrath Meyer dem hiesigen Zeicheninstitut vorsteht hat er, immerfort wirkend, die Sache auf's ernstlichste durchgedacht und sie ist öfters der Gegenstand unserer Gespräche gewesen.

Das Zutrauen zu dieser Anstalt hat seit einem Jahre sehr überhand genommen, so daß sie jetzt beynahe Vierhundert Schüler zählt. Allein es ist diese Zahl nur scheinbar, indem kaum die Hälfte davon Talent besitzt und Fleiß anwendet. Da es nichts kostet, macht Jedermann den Versuch, ob nicht sein Kind allenfalls etwas lernen möchte; aber wenigern ist Ernst, wenige haben Geschick und gerade die Ungeschickten [106] und Unfleißigen nehmen den Bessern den Platz weg und stören auf mancherley Weise die Aufmerksamkeit. Nun kann man bey einem so liberalen Institut nicht strafen, wie in einer gemeinen Schule, und es ist deswegen unter uns zur Sprache gekommen, ob man nicht lieber nach und nach durch ernstere, unerläßliche, strenge Forderung diejenigen Schüler vertreiben sollte, von denen wenig Hoffnung ist. Da wir aber nichts übereilen wollen und man bey einem immerfortgehenden Institut sehr gemäßigt zu verfahren Ursache hat, so haben wir der Sache bisher nur so zugesehen und den Hauptendzweck möglichst zu erreichen gesucht.

Wegen der Lehrer lassen sich auch besondere Betrachtungen anstellen. Des Hofrath Meyers großes didactisches Talent ist außer allem Zweifel, weil er seine Schüler durch alle Stufen zu beurtheilen, und jedem den augenblicklich nöthigen zu Rath zu geben weiß. Sonst sind die Künstler meist in dem Fall, daß sie wohl etwas machen, aber nicht anweisen können, wie man etwas machen soll. Deswegen die fast incorrigible Unart der Zeichenmeister, daß sie anstatt den Schüler zu unterrichten dasjenige selbst machen, was er machen sollte.

Wir haben von den Krausischen Zeiten her Drey Unterlehrer geerbt (wovon nun Einer gestorben ist) brave gute Leute die nach ihrer Art das Ihrige thun, die aber, da Hofrath Meyer seine Zeit diesen Stunden[107] möglichst widmet, manchmal, um ihren Geschäften nachzugehen, dispensirt werden können.

Daher war unser Wunsch Hornys Stelle nicht wieder besetzt zu sehen. Da wir völlig überzeugend sind, daß, wenn man obigen Gedanken verfolgen, das Institut blos auf wirklich lernende Schüler reduciren wollte, Hofrath Meyer beynahe allein das Ganze versehen und von den beyden gegenwärtig angestellten Männern hinreichend unterstützt werden könnte.

Inwiefern Hose, der übrigens ein geschickter Mann ist, ein didactisches Talent hat, kann ich nicht beurtheilen; doch zweifle ich eher daran, weil auch er blos bey der Technik hergekommen ist. Inwiefern er, da er etwas hypochondrischer und eigner Natur zu seyn scheint, sich den Anordnungen des Directors subordiniren und im Sinn und Geiste desselben das Geschäft treiben werde, läßt sich noch weniger voraussehen. Wer solche Anstalten genau kennt, der weiß daß die Mehrheit der Personen sehr selten Vortheil bringt.

Eins der größten Hindernisse an den Fortschritten selbst wahrhaft geschickter und fleißiger Schüler ist der Mangel an guten Materialien und Werkzeugen. Wir haben uns in einem gedruckten und ausgetheilten Blatt weitläuftig darüber ausgelassen; allein es hat wenig gefruchtet. Die Menschen haben bey dem besten Willen eine gewisse Dinge zu verschaffen, die freylich auch nicht immer ganz nahe liegen. Unser größter Wunsch war daher, uns im [108] Stande zu befinden, die bessere Schüler, welche wirklich Fortschritte machen, durch unentgeltliche Angabe der Werkzeuge und Materialien zu belohnen, welches mit einem geringen Aufstand geschehen Aufwand geschehen kann; und hiezu hofften wir, sollte die vacant gewordne Besoldung des Horny verwendet werden, indem uns selbige zu unserer Casse gnädigst verwilligt würde.

Soviel mit aller Offenheit von der gegenwärtigen Lage unseres Instituts, wie wir dieselbige einsehen. Auch hier tritt der Fall ein, daß man mit wenigen Mitteln und Personen gerade das Rechte thun kann, da man oft über Mittel und Personen den Zweck aus den Augen verliert.

Wollten übrigens Serenissimus Hosen von Eisenach hereinziehn, so ließe sich ihm vielleicht ein von der Zeichenschule abgesondertes Atelier, wie es ja Weißer auch hat, einrichten. Er könnte die bestellten Arbeiten fertigen, junge Leute unterrichten und wenn man ihn näher kennen lernte, oder die Umstände sich änderten, so könnte man ihn immer noch an das Zeicheninstitut heranziehen.

Alles dieses nur zur Aufklärung des gegenwärtigen Zustandes und zur Vorbereitung irgend einer gnädigst zu fassenden Entschließung

Weimar den 31. December 1807.

Goethe. [109]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6EDC-B