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An Katharina Fabricius?

am 14. Octb.

Soll ich Ihnen wieder einmal sagen daß ich noch lebe, und wohl lebe, und so vergnügt als es ein Mittelzustand erlaubt, oder soll ich schweigen, und lieber gar nicht, als beschämt an Sie denken? Ich dächte nein. Vergebung erhalten, ist für mein Herz eben so süße als Danck verdienen, ia noch süßer denn die Empfindung ist uneigennütziger. Sie haben mich[249] nicht vergessen, das weiß ich; Ich habe Sie nicht vergessen, das wissen Sie, ohngeachtet eines Stillschweigens dessen Dauer ich nicht berechnen mag. Ich habe niemals so lebhafft erfahren was das sey, vergnügt ohne daß das Herz einigen Anteil hat, als ietzo, als hier in Strasburg. Eine ausgebreitete Bekanntschatt unter angenehmen Leuten, eine aufgeweckte muntre Gesellschafft, iagt mir einen Tag nach dem andern vorüber läßt mir wenig Zeit zu dencken, und gar keine Ruhe zum Empfinden, und wenn man nichts empfindet, denckt man gewiß nicht an seine Freunde. Genug mein ietziges Leben ist vollkommen wie eine Schlittenfahrt, prächtig und klinglend, aber eben so wenig fürs Herz, als es für Augen und Ohren viel ist.

Sie sollten wohl nicht rahten wie mir ietzo so unverhofft der Einfall kömmt, Ihnen zu schreiben, und weil die Ursache so gar artig ist, muß ich's Ihnen sagen.

Ich habe einige Tage auf dem Lande bey gar angenehmen Leuten zugebracht. Die Gesellschafft der liebenswürdigen Töchter vom Hause, die schöne Gegend, und der freundlichste Himmel, weckten in meinem Herzen iede schlaffende Empfindung, iede Erinnerung an alles was ich liebe; daß ich kaum angelangt binn, als ich schon hier sitze und an Sie schreibe.

Und daraus können Sie sehen, in wie fern man seiner Freunde vergessen kann wenn's einem wohl geht.

[250] Es ist nur das schwärmende, zu bedauernde Glück, das uns unsrer selbst vergessen macht, das auch das Andencken an Geliebte verdunckelt; aber wenn man sich ganz fühlt, und still ist und die reinen Freuden der Liebe und Freundschafft genießt, dann ist durch eine besondere Sympatie, iede unterbrochne Freundschafft, iede halbverschiedne Zärtlichkeit wieder auf einmal lebendig. Und Sie, meine liebe Freundinn, die ich unter vielen vorzüglich so nennen kann, nehmen Sie diesen Brief als ein neues Zeugniß daß ich Sie nie vergessen werde. Leben Sie glücklich pp.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1770. An Katharina Fabricius?. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6EEE-3