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An Johann Heinrich Meyer

Seitdem ich weiß daß Sie wieder in Ihr Vaterland gerettet sind, ist mein Beginnen von ganz andrer Art als vorher, und meine Gedanken sind nun hauptsächlich darauf gerichtet: daß wir wechselseitig mit demjenigen bekannt werden was jeder bis her einzeln für sich gethan hat. Sie haben durch Anschauung und Betrachtung ein unendliches Feld kennen gelernt und ich habe indessen, von meiner Seite, durch Nachdenken und Gespräch über Theorie [188] und Methode mich weiter auszubilden nicht versäumt; so daß wir nun entweder unmittelbar mit unsern Arbeiten zusammen treffen, oder uns wenigstens sehr leicht werden erklären und vereinigen können.

Ich schicke Ihnen hier einen Aufsatz worin, nach einigem Allgemeinen, über Laokoon gehandelt ist. Die Veranlassung zu diesem Aufsatze sage ich hernach. Schiller ist mit der Methode und dem Sinn desselben zufrieden, es ist nun die Frage: ob Sie mit dem Stoff einig sind? ob Sie glauben daß ich das Kunstwerk richtig gefaßt und den eigentlichen Lebenspunct des dargestellten wahrhaftig angegeben habe? Auf alle Fälle können wir uns künftig vereinigen, theils dieses Kunstwerk, theils andere in einer gewissen Folge dergestalt zu behandeln, daß wir, nach unserm ältern Schema, eine vollständige Entwicklung von der ersten poetischen Conception des Werks, bis auf die letzte mechanische Ausführung zu liefern suchen und dadurch uns und andern mannigfaltig nutzen.

Hofrath Hirt ist hier, der in Berlin eine Existenz ganz nach seinen Wünschen hat, und sich auch bey uns ganz behaglich befindet, bis auf den Punct wenn wir seine Verstandsreductionen nicht als das ultimum, bey Hervorbringung und Beurtheilung der Kunstwerke, wollen gelten lassen. Schiller ist seit einigen Tagen auch hier und steht, bey seinem höchst beweglichen und zarten Idealism, freylich am weitesten von diesem Dogmatiker ab. Es ist gut daß dieses [189] Zusammenbleiben nicht lange dauert, denn sonst würde die Kluft die uns trennt immer sichtbarer werden. Indessen hat seine Gegenwart uns sehr angenehm unterhalten, indem er bey der großen Masse von Erfahrung, die ihm zu Gebote steht, beynah alles in Anregung bringt was in der Kunst interessant ist und dadurch einen Zirkel von Freunden derselben, selbst durch Beschränktheit und Widerspruch, belebt. Er communicirte uns einen kleinen Aufsatz über Laokoon, den Sie vielleicht schon früher kennen und der das Verdienst hat, daß er den Kunstwerken auch das charakteristische und leidenschaftliche als Stoff zuschreibt, welches durch den Mißverstand des Begriffs von Schönheit und göttlicher Ruhe allzusehr verdrängt worden war. Schillern hatte von dieser Seite gedachter Aufsatz besonders gefallen, indem er selbst jetzt über Tragödie denkt und arbeitet, wo eben diese Puncte zur Sprache kommen. Um mich nun eben hierüber am freysten und vollständigsten zu erklären und zu weiteren Gesprächen Gelegenheit zu geben, so wie auch besonders in Rücksicht unserer nächsten gemeinschaftlichen Arbeiten, schrieb ich die Blätter die ich Ihnen nun zur Prüfung überschicke.

Sorgen Sie vor allen Dingen für Ihre Gesundheit in der vaterländischen Luft, und strengen sich, besonders durch Schreiben, ja nicht an, disponiren Sie sich Ihr Schema im ganzen, und rangiren die Schätze Ihrer Collectaneen und Ihres Gedächtnisses, warten [190] Sie alsdann bis wir wieder zusammen kommen, da Sie die Bequemlichkeit des dictirens haben werden, indem ich den Schreiber des gegenwärtigen mitbringe, wodurch das mechanische der Arbeit, welches für eine nicht ganz gesunde Person drückend ist, sehr erleichtert ja gewissermaßen weggehoben wird.

Unser Herzog scheint sich auf seiner Reise zu gefallen, denn er läßt uns eine Woche nach der andern warten, doch beunruhigt mich seine verspätete Ankunft, die ich erwarten muß, gegenwärtig nicht, indem ich Sie in Sicherheit weiß. Ich hoffe Sie haben meinen Brief vom 7. mit dem Anfange des Gedichts richtig erhalten, und ich will es nunmehr so einrichten, daß ich alle Woche etwas an Sie absende, schreiben Sie mir, wenn es auch nur wenig ist, unter der Adresse meiner Mutter nach Frankfurt, ich hoffe Ihnen bald meine Abreise von hier und meine Ankunft dort melden zu können. Ich wünsche daß Sie sich recht bald erholen möchten und daß ich die Freude habe Sie, wo nicht völlig hergestellt, doch in einem recht leidlichen Zustande wieder zu finden.

Leben Sie recht wohl, werthester Freund! wie freue ich mich auf den Augenblick in welchem ich Sie wiedersehen werde, um durch ein vereintes Leben uns für die bisherige Vereinzelung entschädigt zu sehen.

Schiller und die Hausfreunde grüßen, alles freut sich Ihrer Nähe und Bessrung.

Heut über 8 Tage will ich verschiedne Gedichte beylegen.

[191] Wir haben uns vereinigt in den diesjährigen Almanach mehrere Balladen zu geben und uns, bey dieser Arbeit, über Stoff und Behandlung dieser Dichtungsart selbst aufzuklären, und ich hoffe es sollen sich gute Resultate zeigen.

Humboldts werden nun auch von Dresden nach Wien abgehen. Gerning, der noch immerfort bey jedem Anlaß Verse macht, ist über Regenspurg eben dahin abgegangen, beyde Parthien denken von jener Seite nach Italien vorzurücken, die Folge wird lehren wie weit sie kommen.

Die Herzogin Mutter ist nach Kissingen. Wieland lebt in Osmannstädt mit dem nothdürftigen Selbstbetruge. Fräulein v. Imhof entwickelt ein recht schönes poetisches Talent, sie hat einige allerliebste Sachen zum Almanach gegeben. Wir erwarten in diesen Tagen den jungen Stein von Breslau der sich im Weltwesen recht schön ausbildet. Und so hätten Sie denn auch einige Nachricht von dem Personal das einen Theil des weimarischen Kreises ausmacht, bey Ihrer größern Nähe scheint es mir als ob man Ihnen auch hiervon etwas sagen könne und müsse. Knebel ist nach Bayreuth gegangen, er macht Miene in jenen Gegenden zu bleiben, nur fürchte ich er wird nichts mehr am alten Platze finden, besonders ist Nürnberg, das er liebt, in dem jetzigen Augenblick ein trauriger Aufenthalt. Nochmals ein Lebe wohl.

Weimar am 14. Juli 1797.

G. [192]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F06-E