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An Johann Kaspar Lavater

Genf d. 28ten Oct. Lieber Bruder deinen Brief hat mir Tobler gegeben, der mich nur in Gegenwart Diodatis gesprochen hat wo's ihm nicht so von der Brust will und ich bin auch nicht so, in Gesellschafft mich aufzuknöpfen.

Wir ziehen langsam bis iezt noch mit schönem Glück und Vorteil, sind vorgestern in der Vallee du lac de Joux und auf der Dole gewesen, beym schönsten Wetter und Umständen. Heut warten wir das Trübe in Genv ab.

Noch weis ich nicht wenn wir kommen, du sollst noch mehr von mir hören. Ich halte sonst viel vom überraschen, diesmal ist das herumziehen eh wir uns sehn auch gut. Nicht allein vergnüglich sondern geseegnet uns beyden soll unsre Zusammenkunft seyn. Für ein Paar Leute die Gott auf so unterschiedne Art dienen sind wir vielleicht die einzigen, und dencke wir wollen mehr zusammen überlegen und ausmachen als ein ganz Concilium mit seinen Pfaffen Huren und Mauleseln. Eins werden wir aber doch wohl thun dass wir einander unsre particular Religionen ungehudelt lassen. Du bist gut darinne, aber ich bin manchmal hart und unhold, da bitt ich dich im Voraus um Geduld.

Denn z.E. da hat mir Tobler deine Offenbarung [111] Johannis gegeben, an der ist mir nun nichts nah als deine Handschrifft, darüber hab ich sie auch zu lesen angefangen. Es hilft aber nicht ich kan das göttliche nirgends und das poetische nur hie und da finden, das Ganze ist mir fatal, mir ists als röch ich überall einen Menschen durch der gar keinen Geruch von dem gehabt hat der da ist A. und O. Siehst du lieber Bruder wenn nun deine Vorerinnerung grade das Gegentheil besagt und unterm 24. September 1779!! da werden mir wohlthun wenn wir irgend ein sittsam Wort zusammen sprechen, ich bin ein sehr irdischer Mensch, mir ist das Gleichniss vom ungerechten Haushalter vom Verlohrnen Sohn, vom Saemann, von der Perle, vom Groschen ppp. göttlicher (wenn ia was göttlichs da seyn soll) als die sieben Bischoffe Leuchter, Hörner Siegel Sterne und Wehe. Ich dencke auch aus der Wahrheit zu seyn, aber aus der Wahrheit der fünf Sinne und Gott habe Geduld mit mir wie bisher. Gegen deine Messiade hab ich nichts, sie liest sich gut, wenn man einmal das Buch mag, und was in der Apokalypse enthalten ist, drückt sich durch deinen Mund rein und gut in die Seele, wie mich dünckt. Das willst du da, wozu denn aber die ewigen Trümpfe mit denen man nicht sticht, und kein Spiel gewinnt, weil sie kein Mensch gelten lässt. Du siehst Bruder ich bin immer der alte, dir wieder von eben der Seite wie vormals zur Last. Auch bin ich in Versuchung gewesen das Blat wieder zu zerreisen. [112] Doch da wir uns doch sehn werden so mags gehn.

Vom Herzog sag ich dir nichts voraus, noch haben ihn die gescheutsten Leute falsch beurtheilt. Du sollst ihm das Haupt salben wie mit köstlichem Balsam, und ich will mich mit dir im stillen über ihn freuen, denn weis Gott ausser der Sonne und dem Mond und den ewigen Sternen lass ich neuerdings niemand zu Zeugen des was mich freut oder ängstet.

Du bist ein bescheidener Mensch dass du nur eine Ahndung von meinem Biss auf das neue Systema Naturae in deinen Gliedern gespürt hast. Sey nur ruhig alter Paradiesvogel man darf dich wohl mit anderm raren Vieh für gleiches Geld sehen lassen.

Dein Strumpfwürcker ist von Franckfurt aus besorgt und wird sein Geld haben. Nun leb wohl. Es ist spät verzeih mir mein Wesen, und sieh an dem Brief wie wohl mirs ist dir nahe zu seyn, und nach der ganzen Schweiz noch den reinen Eindruck von dir mit fortzunehmen.

Grüs dein Weib, sey hübsch fleisig, vor 14 Tagen kommen wir noch nicht. Du hörst indess wieder von mir. Ich liebe dich wie ich lieben kan.

d. 29. früh.

NB. in Lausanne habe ich die gar liebliche Branckoni zwey mal gesehn, und über sie den Brandes vernachlässigt, und den Dubois vergessen. Sie war so artig mir wenigstens glauben zu machen dass ich [113] sie interessire, und ihr mein Wesen gefalle, und das glaubt man diesen Sirenen gerne. Mir ist herzlich lieb dass ich nicht an Matthäis Plaz bin denn es ist ein verfluchter Posten das ganze Jahr par devoir wie Butter an der Sonne zu stehn.

Grüs mir herzlich die Schulthess und Pfenningern und Kaysern. Was von Füesli bey dir ist zu sehen verlangt mich sehnlich. Adieu. Schreib mir doch ein Wörtgen auf Luzern früh oder spat find ich's da.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F0B-4