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An Charlotte von Stein

[Gotha] Sonntag [31. März]

Nachts halb zwölfe.

So verkehrt ist die Ordnung meiner Stunden daß ich dir zu dieser Zeit schreibe. Liebste Lotte mich wundert nicht daß die Reichen so kranck und elend sind, mich wundert daß sie nur leben. Ich bin vergnügt weil ich mitten durch die vielerley fremde Menschen, mich an dem Faden der Liebe zu dir, sachte und sicher winde. Wie die Muscheln schwimmen wenn sie ihren Körper aus der Schaale entfalten, so lern ich leben indem ich das in mir verschlossne sacht auseinander lege. Ich versuche alles was wir zuletzt über Betragen, Lebensart, Anstand und Vornehmigkeit abgehandelt haben, lasse mich gehen, und bin mir immer bewusst. Und ich kan dir versichern daß alle[292] die ich beobachte, weit mehr ihre eigne Rolle spielen als ich die meine. Wie angenehm wird mir dies Spiel da ich keine Absichten habe, und keinen Wunsch als den, dir zu gefallen und dir immer willkommen zu seyn. Wenn ich wiederkomme sollst du meiner ganzen Erndte theilhafftig werden. Gute Nacht! Vergebens sinn ich drauf dich diese vierzehn Tage einmal zu sehen, ich komme nur immer weiter von dir weg.

Dienstag d. 2ten Aprill. Es ist ein Husar da der dir diesen Brief bringen soll.

Nach Tafel geh ich auf Eisenach und rücke immer weiter von dem Ziel meines Lebens. Hier ist mir's wohlgegangen und ich glaube man wird mit mir zufrieden seyn. Wenn unsre Begriffe sich zu berichtigen anfangen dann gehts mit Macht. Zu Diedens hat sich auch das rechte Verhältniss gefunden und so hoff ich solls immer fort gehn. Wenn man in Liebe und Freundschafft glücklich ist, daß unser Herz in der Weiten Weit nichts zu suchen braucht so hat man mit den Menschen einen guten Stand, und man kann sich der Wahrheit gemäs mit ihnen betragen, eben als wenn man nichts politisch von ihnen haben will.

Tausend und aber tausend Danck für deine Liebe, du schreibst mir noch einmal auf Eisenach, dann auf Meinungen. Inzwischen sollst du auch immer von mir etwas erfahren. Mit der Gräfinn Brühl nimmts ein böses Ende. Gib acht sie prostituirt sich am offnen[293] Tage, daß kein Mensch einen Zweifel über ihre Hirnlosigkeit behält. Der Obermarschall ist nicht besser. Grüse die Freundinnen. und Steinen. Witzleben hat seinen Luzerne.

G.


Eisenach den 2ten Aprill.

Von Gotha wo es mir so weich wie einem Schooskinde ergangen, komm ich hierher wo mich die Sorgen wie hungrige Löwen anfallen. Hätte ich die Angelegenheit unsres Fürstenthums, auf so einem guten Fus als meine eigne, so könnten wir von Glück sagen, und wäre alsdenn das Glück uns so treu und hold als du mir bist, würde man uns vor dem Todte seelig preisen können.

Liebste Lotte daß doch der Mensch so viel für sich thun kan und so wenig für andre. Daß es doch ein fast nie befriedigter Wunsch ist Mensch zu nutzen. Das meiste dessen ich persönlich fähig war hab ich auf den Gipfel des Glücks gebracht, oder sehe vor mir es wird werden. Für andre arbeit ich mich ab und erlange nichts, für mich mag ich kaum einen Finger rühren und es wird mir alles auf einem Küssen überreicht.

Der Weise Mambres nährt sich von Gedancken, du sollst alles hören wenn mich die guten Stunden zu dir führen.

Ich habe viel vom Sturm ausgestanden auf meinem Weege, doch es freut mich daß ich gegen alle [294] Unbequemlichkeit völlig gleichgültig bin so bald es seyn muß, und das Unternehmen einen Zweck hat, das zwecklose macht mich rasend und ich hab ihm eine ewige Feindschafft angekündigt.

Ein köstlich illuminirt Kupfer nach Raphael hab ich bey dem Herzog gesehn. Durch diese obgleich immer sehr unvollkommne Nachbildung sind mir wieder ganz neue Gedancken aufgeschlossen worden. Wenn du es nur sehen könntest.

Gute Nacht meine liebe! Wie freu ich mich daß ich zur rechten Zeit und ohngegessen zur Ruhe gehn kann.

Eisenach d. 3ten Abends. Der Brief muß fort, nur noch von heute einen Grus.

Hierbey ein Muster hiesigen Styls.

Bey Bechstolsheim hab ich viel gegessen denn mich hungerte und es war gut, nun seh ich für den Abend einem peinlichen Nachtmal bey Herden entgegen. Adieu liebste. Hier schick ich dir die ersten Blumen die ich sah, und über die ich recht herfiel.

Es ist hier unter den Menschen ein mehr geniesender Geist als bey uns, die Verdammniß daß wir des Landes Marck verzehren lässt keinen Seegen der Behaglichkeit grünen.

Adieu. Sey die Gunst des Himmels bey dir wie meine Liebe.

G. [295]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F11-3