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An den Herzog Carl August

Rom d. 29. Dec. 87.

Von allen Seiten höre ich daß es Ihnen wohl geht, daß Sie im Haag vergnügt sind und der Kriegshimmel sich aufgeheitert hat. Das Glück bey Frauen das Ihnen niemals gefehlt hat, wird Sie auch in Holland nicht verlassen und Sie dafür schadloß halten, daß Sie die schöne Emilie in Ihrem Hause versäumt haben.

Mich hat der süße kleine Gott in einen bösen Weltwinckel relegirt. Die öffentlichen Mädchen der Lust sind unsicher wie überall. Die Zitellen (unverheurathete Mädchen) sind keuscher als irgendwo, sie lassen sich nicht anrühren und fragen gleich, wenn man artig mit ihnen thut: e che concluderemo? Denn entweder man soll sie heurathen oder sie verheurathen und wenn sie einen Mann haben, dann ist die Messe gesungen. Ja man kann fast sagen, daß alle verheurathete Weiber dem zu Gebote stehn, der die Familie erhalten will. Das sind denn alles böse Bedingungen und zu naschen ist nur bey denen, die so unsicher sind als öffentliche Creaturen. Was das Herz betrifft; so gehört es gar nicht in die Terminologie der hiesigen Liebeskanzley.

Nach diesem Beytrag zur statistischen Kenntniß des Landes werden Sie urtheilen, wie knapp unsre Zustände seyn müßen und werden ein sonderbar Phenomen [314] begreifen, das ich nirgends so starck als hier gesehen habe, es ist die Liebe der Männer untereinander. Vorausgesetzt daß sie selten biß zum höchsten Grab der Sinnlichkeit getrieben wird, sondern sich in den mittlern Regionen der Neigung und Leidenschafft verweilt; so kann ich sagen, daß ich die schönsten Erscheinungen davon, welche wir nur aus griechischen Überlieferungen haben, (S. Herders Ideen III Band pag. 171) hier mit eignen Augen sehen und als ein aufmercksamer Naturforscher, das phisische und moralische davon beobachten konnte. Es ist eine Materie von der sich kaum reden, geschweige schreiben läßt, sie sey also, zu künftigen Unterhaltungen aufgespart.

Jetzt geht die Zeit der Zerstreuung an, für mich weniger als für andre. Kaum ist Christus gebohren; (welcher dieses Jahr mit einer Mondsfinsterniß und einem starcken Donnerwetter seine Geburtsnacht gefeyert hat) so sind auch schon die Narren wieder loß, und die um wenige Tage verdrängte Saturnalien treten ein. Vier große und ein halb Dutzend kleine Theater sind aufgegangen, recitiren, singen, tanzen um die Wette. Die große Oper in Aliberti hat mich den ersten Abend erschröcklich seccirt. Alle Elemente waren da: Theater, Decorationen, Lichter, Sänger, Tänzer, Kleider, Musick pp und alles mehr durch Gewohnheit, als durch einen frischen Geist belebt. Die Mittelmäsigkeit eines so zusammengesetzten, großen, brillanten Gegenstandes war unerträglich.

[315] Vielleicht geben die andern Theater etwas. Mir ist nicht viel daran gelegen, denn ich bringe die Abende gewöhnlich unter Gesprächen über die Kunst hin, und zwar nicht über das allgemeine, sondern über besondre Gegenstände der Nachbildung. Jetzt bin ich am menschlichen Kopfe und würde mich sehr glücklich halten, wenn ich immer tiefer in diesen Betrachtungen gehn, immer weiter in der Ausführung kommen könnte. Der junge Camper ist hier und trägt uns die Lehre seines Vaters vor, welche sich trefflich an das höhere und höchste anschließt. Sie werden seinen Vater im Haag auch nicht versäumt haben, der gute Alte hat, höre ich, viel gelitten.

Wenn Sie mir manchmal etwas bedeutenderes schreiben wollen; können Sie es ohne Sorge thun. Niemals habe ich an einem Briefe nur eine Spur einer Eröffnung bemerckt. Auch kommen sie gewöhnlich in der kürzesten Zeit und können unterweges nicht seyn angehalten worden. Allenfalls nehmen Sie ein unbedeutendes Siegel.

Anfang Dezembers durchlief ich noch einmal das vulkanische Gebirg hinter Rom, von Fraskati biß Nemi und schnitt bey dieser Gelegenheit einen Span aus jenem Troge. Mit nächstem Transport wird diese Reliquie sich Ihrem Hausaltar empfehlen.

Behalten Sie mir Ihre Liebe, wie mein Gemüth Ihnen unwandelbar ergeben ist.

G. [316]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F26-6