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An Carl Friedrich Zelter

Es war mir sehr angenehm zu hören, daß die Ungeschicklichkeit des Herrn Levi. von der mir wirklich etwas ahndet, Sie nicht um den trefflichen Spaniol gebracht hat. Dieses Product wird eigentlich in dem District von Lecce im Tarentinischen verfertigt, und ich will sehen ob es nicht möglich ist, durch Herrn von Humboldt etwas von dorther zu erhalten. Indessen hat er, welchen ich zweymal übersendet, den großen Vorzug, daß er schon über 14 Jahr alt ist: denn so lang wird er schon in Deutschland aufbewahrt. Auch habe ich Spur von einem solchen Schatz, der noch irgendwo vergraben liegt. Kann ich ihn beschwören, so sollen Sie ihn auch erhalten; indessen bitte haushältisch mit dem Vorrathe umzugehen.

Gegen Ihre Beschreibung des Bildes von Judas Ischariot erhalten Sie, auf dem nächsten Blatt, die Beschreibung eines alten Bildes, das uns leider verloren gegangen ist, dem von Ihnen beschriebenen e Diametro entgegengesetzt. Um die dabey zudringenden Reflexionen abzukürzen, zeichne ich auf der Rückseite ein Schema, wie wir neustens Philosophen uns bildlich und kürzlich gegen einander auszudrücken pflegen. Ich bin überzeugt, [221] daß es Ihnen klar wie die Sonne entgegen leuchten wird.


Alles Gute.
d. 24. Nov. 1804.
G.

[Beilage.]
Meles und Kritheis.
Fabel.

Die Quellnymphe Kritheis liebt den Flußgott Meles, aus den beyden, ionischen Ursprungs, wird Homer geboren.


Bild.

Meles, im frühen Jünglingsalter vorgestellt. Von seiner Quelle, deren Auslauf ins Meer man zugleich sieht, trinkt die Nymphe ohne Durst, sie schöpft das Wasser und scheint mit der rieselnden Quelle zu schwätzen, indem ihr liebevolle Thränen herabfließen.

Der Fluß aber liebt sie wieder und freut sich dieses zärtlichen Opfers.

[222] Die Hauptschöne des Bildes ist in der Figur des Meles. Er ruht auf Krokos, Lotos und Hyacinthen, blumenliebend, der Jugend gemäß. Er zeigt eine jugendliche und weiche Gestalt, aber ausgebildet, man möchte sagen, seine Augen können auf etwas poetisches.

Wodurch er sich aber am anmuthigsten erweist, ist, daß er nicht heftiges Wasser ausströmt, sondern, indem er mit einer Hand über die Oberfläche der Erde hinfährt, läßt er das sanftquellende Wasser durch die Finger rauschen, so daß es ein Wasser zu seyn scheint, geschickt Liebesträume hervorzubringen.

Aber kein Traum ist's Kritheis! Deine stillen Wünsche sind nicht vergebens. Bald werden sich die Wellen bäumen und, unter ihrem grün purpurnen Gewölbe, dich und den Gott liebebegünstigend verbergen.

Wie schön das Mädchen ist, wie zart ihre Gestalt und ganz ionisch! Schaumhaftigkeit ziert die Bildung und gerade diese Röthe ist hinlänglich für die Wangen.

Das Haar ist unter dem Ohr gebunden und mit purpurner Binde geschmückt. Sie schaut aber so süß und einfach, daß auch die Thränen das Sanfte nicht verändern. Schöner ist der Hals, weil er nicht geschmückt ist, und wenn wir die Hände betrachten, finden wir weiche lange Finger, so weiß als der Vorderarm, der unter dem weißen Kleid noch weißer erscheint. So zeigt sich auch in wohlgebildeter Busen.

[223] Was aber haben die Musen hier zu schaffen? An der Quelle des Meles sind sie nicht fremd; denn schon führten sie, in Bienengestalt, die Flotte atheniensischer Colonien hierher.

Wenn sie aber gegenwärtig hier leichte Tänze führen, so erscheinen sie als freudige Parzen, die einstehende Geburt Homers zu feyern.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1804. An Carl Friedrich Zelter. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F67-3