[271] 11/3440.
An Johann Heinrich Meyer
Die Sonne steht so niedrig und man fühlt von außen gegenwärtig wenig Reiz, daß auch das was in uns ist uns eben so wenig reizend scheint, so daß man träge und lästig zu jeder Art von Mittheilung wird; ich habe indessen drey von Ihren Briefen erhalten und da die Franzosen von der Etsch vertrieben sind, so läßt sich hoffen, daß künftig unsere Briefe nicht vier Wochen brauchen um ihren Weg zurück zu legen. – Ich fange mit einigen Nachrichten an, die ich bisher vergessen hatte. Die Nemesis im Fronton des neuen Hauses ist nunmehr aufgestellt und eingepaßt, so sie nimmt sich recht gut aus und giebt der ganzen Vorderseite ein Ansehen. Eine einzige Tafel hat sich im Brennen geworfen, die man früher hätte austauschen können, indessen da man bey Basreliefs so genau nicht auf die Glätte des Grundes zu sehen gewohnt ist, so hat, es so gar viel nicht zu sagen. –
[271] In Berlin ist eine Auction, in welcher manche Kunstbücher zu haben sind, ich schicke hier einen Auszug derer am meisten für uns bedeutenden, sagen Sie mir Ihre Gedanken darüber und welche Sie für die nothwendigsten halten? es sind grade ein paar dabey die Sie sonst wünschten. Ich will sehen, ob man vielleicht von Seiten hiesiger Bibliothek etwas anwendet. Wäre das nicht, so wollte ich allenfalls diejenigen selbst anschaffen die Sie auszeichneten. Da die Auction erst im April ist, so kann ich Ihre Meynung recht gut erfahren.
Ihren Brief vom 5. Sept. über Leipzig habe ich den 10. Nov. erhalten. Ich konnte ihn nicht vermissen weil er gleichfalls Nr. 8, wie schon ein anderer numerirt ist und meistens nur Wiederholungen der vorigen Briefe enthält. Was Sie darin anfragen ist nun schon durch meine, inzwischen abgegangenen Briefe beantwortet. Für den Nachtrag zur Beschreibung von Fiesole danke ich Ihnen recht sehr, Sie haben mich dadurch recht erquickt, so auch durch so alles was Sie mir von Kunstwerken und andern Beobachtungen und Aussichten schreiben, ich will dagegen auch etwas von dem was mich umgiebt vermelden.
Durch meine Idylle, über welche mir Ihr Beyfall sehr wohlthätig ist, bin ich in das verwandte epische Fach geführt worden, indem sich ein Gegenstand, der zu einem ähnlichen kleinen Gedichte bestimmt [272] war, zu einem größern ausgedehnt hat, das sich völlig in der epischen Form darstellt, sechs Gesänge und etwa zweytausend Hexameter erreichen wird. Zwey Drittel sind schon fertig und ich hoffe nach dem neuen Jahre die Stimmung für den Überrest zu finden. Ich habe das reine menschliche der Existenz einer kleinen deutschen Stadt in dem epischen Tiegel von seinen Schlacken abzuscheiden gesucht, und zugleich die großen Bewegungen und Veränderungen des Welttheaters aus einem kleinen Spiegel zurück zu werfen getrachtet. Die Zeit der Handlung ist ohngefähr im vergangenen August und ich habe die Kühnheit meines Unternehmens nicht eher wahrgenommen, als bis das Schwerste schon überstanden war. In Absicht auf die poetische sowohl als prosodische Organisation des Ganzen habe ich beständig vor Augen gehabt was in diesen letzten Zeiten bey Gelegenheit der Voßischen Arbeiten mehrmals zur Sprach gekommen ist, und habe verschiedene streitige Puncte praktisch zu entscheiden gesucht, wenigstens kann ich meine Überzeugung nicht besser ausdrücken als auf diese Weise.
Schillers Umgang und Briefwechsel bleibt mir in diesen Rücksichten noch immer höchst schätzbar. So ist wieder des zerbröckelten Urtheils nach der Vollendung meines Romans kein Maß noch Ziel. Man glaubt manchmal, man höre den Sand am Meere reden, so daß ich selbst, der ich nun nicht mehr darüber denken mag beynah verworren werden könnte. Gar schön [273] weiß Schiller gleichsam wie ein Präsident diese Vota mit Leichtigkeit zusammen zu stellen und seine Meinung dazwischen hinein zu setzen, wobey es denn zu mancher angenehmen Unterhaltung Gelegenheit giebt.
Übrigens macht er selbst einen Versuch aus dem philosophischen und kritischen wieder ins Feld der Production zu gelangen, er arbeitet an seinem Wallenstein, einer Tragödie, deren Entstehen und die Art, wie er sich dabey benimmt, äußerst merkwürdig ist. Das was ich davon weiß läßt mich viel Gutes davon hoffen. – Herr von Humboldt ist nun auch wieder zurück, er hat im Herbst eine Reise nach der Insel Rügen um das Meer zu begrüßen gemacht, ist von da nach Hamburg und dann über Berlin wieder hierher zurück gekommen. Er hat manches Interessante an Menschen und Dingen gesehen, das aber mehr Stoff zur Unterredung in Deutschland als zu einem Briefe nach Florenz geben könnte.
Von einem merkwürdigen Buche muß ich Ihnen auch noch melden, das den Einfluß der Leidenschaften auf das Glück der einzelnen und der Völker abhandelt und die Frau von Staat zum Verfasser hat. Eigentlich erfüllt aber dieser Erste Theil nur die erste Hälfte des auf dem Titel versprochenen und giebt eine allgemeine Idee von dem was noch nachfolgen sollte. – Dieses Buch ist äußerst merkwürdig, man sieht eine sehr leidenschaftliche Natur, die im beständigen Anschauen ihrer selbst, der gleichzeitigen Begebenheiten, [274] an denen sie so großen Antheil genommen, und der Geschichte, die sie sehr lebhaft übersieht, von den Leidenschaften schreibt und das Gewebe der menschlichen Empfindungen und Gesinnungen trefflich übersieht. Vielleicht ziehe ich Ihnen einmal den Gang des Ganzen aus, der wirklich überraschend ist, so wie einzelne Stellen von der größten Wahrheit und Schönheit sind. Das Capitel vom Parteygeist finde ich besonders gut geschrieben, auch dieses ist vorzüglich im Anschauen der neusten Begebenheiten aufgesetzt.
Ich füge, bey dem wenigen Platze, nur noch die Versicherung hinzu, daß mir die übersendeten Zeichnungen außerordentlich viel Freude gemacht haben. Ich will nun sehen, wie ich mit Leo zurechtkomme und wie er mit den Zeichnungen zurecht kommt wenigstens soll ihm alle Aufmerksamkeit darauf anempfohlen werden. Seine letzten Stücke sind freylich von der ärmsten Sorte, nächstens vernehmen Sie mehr davon.
Weimar am 5. Dec. 96.
G.