5/1253.

An Friedrich Müller

Ihre Gemälde, Zeichnungen und Briefe hab' ich alle ihrer Zeit wohl erhalten und erfreue mich, daß Sie wohl, munter und arbeitsam sind. Wenn ich Sie nicht kennte, so würde ich in Verlegenheit sein, Ihnen zu sagen, daß Ihre Sachen hier kein großes Glück gemacht haben, und wie sehr wünscht' ich selbst, einige Stunden über das, was ich dabei zu erinnern [136] finde, mit Ihnen sprechen zu können; doch lassen Sie uns es so machen. Ich will Ihnen gegenwärtig nur kurz meine Gedanken sagen, antworten Sie mir darauf, und wir können uns nach und nach hinreichend erklären. Ich verkenne in Ihren Sachen den lebhaften Geist nicht, die Imagination und selbst das Nachdenken; doch glaube ich Ihnen nicht genug rathen zu können, sich nunmehr jener Reinlichkeit und Bedächtlichkeit zu befleißigen, wodurch allein, verbunden mit dem Geiste, Wahrheit, Leben und Kraft dargestellt werden kann. Wenn jene Sorgfalt, nach der Natur und großen Meistern sich genau zu bilden, ohne Genie zu einer matten Ängstlichkeit wird, so ist sie es doch auch wieder allein, welche die großen Fähigkeiten ausbildet und den Weg zur Unsterblichkeit mit sicheren Schritten führt. Der feurigste Maler darf nicht sudeln, so wenig als der feurigste Musikus falsch greifen darf; das Organ, in dem die größte Gewalt und Geschwindigkeit sich äußern will, muß erst richtig sein. Wenn Raphael und Albrecht Dürer auf dem höchsten Gipfel stehen, was soll ein echter Schüler mehr fliehen als die Willkürlichkeit? Doch Sie wissen Alles, was ich Ihnen sagen könnte, besser; ich sehe es aus Ihren Briefen und Urtheilen, und ich hoffe, Sie sollen es auch auf Ihre eigene Sachen anwenden können und mögen. Ich finde Ihre Gemälde und Zeichnungen doch eigentlich nur noch gestammelt, und es macht dieses einen so übleren Eindruck, [137] da man sieht, es ist ein erwachsener Mensch, der vielerlei zu sagen hat und zu dessen Jahrszeit ein so unvollkommener Ausdruck nicht recht kleidet. Ich hoffe, Sie sollen meine Freimüthigkeit gut aufnehmen, und das, was ich sage, Ihrem Freund Trippel mittheilen und auch ihn darüber hören; denn nach Ihrer Beschreibung scheint mir dieser Mann eben das zu haben, was ich Ihnen wünsche. Nach meinem Rath müßten Sie eine Zeit lang sich ganz an Raphaeln, die Antiken und die Natur wenden, sich recht in sie hineinsehen, einzelne Köpfe und Figuren mit Sorgfalt zeichnen und bei keiner eher nachlassen, bis sie den individuellen Charakter und das innere Leben der Gestalt nach Ihren möglichsten Kräften aus dem Papier oder aus der Leinwand wieder hervorgetrieben hätten; dadurch werden Sie sich allein den Namen eines Künstlers verdienen. Das Hinwerfen und Andeuten kann höchstens nur an einem Liebhaber gelobt werden. Ferner wünscht' ich, daß Sie auch eine Zeit lang sich aller Götter, Engel, Teufel und Propheten enthielten. Erlauben Sie mir, daß ich eine Stelle, die ich bei einem andern Anlasse geschrieben, hier einschalte.

»Es kommt nicht darauf an, was für Gegenstände der Künstler bearbeitet, sondern vielmehr, in welchen Gegenständen er nach seiner Natur das innere Leben erkennt und welche er wieder nach allen Wirkungen ihres Lebens hinstellen kann. Sieht er durch die [138] äußere Schale ihr innerstes Wesen, rühren sie seine Seele auf den Grad, daß er in dem Glanze der Begeisterung ihre Gestalten verklärt sieht, hat er Übung des Pinsels und Mechanisches der Farben genug, um sie auch so hinzustellen, so ist er ein großer Künstler. Der Gegenstand sei, welcher er wolle, durch diese Kraft entzücken uns die geringsten. Ein Blumengefäß, ein gesottener Hummer, ein silberner Kelch, ein Felsstück, eine Ruine, eine Hütte bleiben durch Jahrhunderte der Abgott so vieler Liebhaber. Lassen Sie uns nun höher steigen; denn der Geist des Menschen treibt immer aufwärts; lassen Sie den Künstler mit weiten Gegenständen, Seen und Gebüschen, seine Seele vermischen, lassen Sie seinen Pinsel wie den Himmel von tausendfältigen Lufterscheinungen schimmern, lassen Sie ihn zu der thierischen Natur sich gesellen, Richtigkeit und Zierlichkeit der Form an ihr gewahr werden, jedes mit seiner eigenthümlichen Natur beleben, lassen Sie ihn mit dem Schafe dämisch ruhen, mit dem Pferde wiehern und mit dem Vogel sich ausbreiten, – wie werden wir ihn, und das mit Recht, bewundern! Sehen Sie eine Galerie durch, und Sie werden in allen diesen Geschlechtern Muster vom gemein »Wahren«, vom einfach »Edeln«, vom Idealisirten und vom Manierirten finden. Lassen Sie den Künstler zuletzt als Herrn der obersten Schöpfung erscheinen, lassen Sie ihn die Gegenstände seiner Kunst, seiner Begeisterung unter seines Gleichen suchen, lassen Sie ihn Menschen, [139] Helden, Götter hervorbringen, – wie wird sich unsere Achtung in Ehrerbietung und Anbetung verwandeln, und doch immer nur alsdann, wenn er, wie seine Mitmeister niederer Klasse das Dasein des Höchsten, wie jene des Niedrigsten, gleich lebhaft begeistert gefühlt hat und leuchtend hinstellt. Phidias, von dem man sagte, daß ihm die Götterbilder besser als menschliche gelangen, verdiente den Tempel, der seinen Werken gebaut wurde. Wenn Raphael mit der glücklichsten Fruchtbarkeit das Einfältigste, Ungemeinste hervorbrachte, wenn das Edelste aus seinem Pinsel so willig wie die reinsten und stärksten Töne aus der Kehle einer Sängerin hervorquollen, so ist und bleibt auch er mehr der Abgott als das Muster seiner Nachfolger.«

Ich setze noch hinzu, daß durch solches Übergreifen in ein fremdes Geschlecht der gute Mensch wie der gute Künstler sich herabsetzt, und indem er Prätension an einen höheren Stand macht, die Vortheile des, zu dem er gehört, sich verscherzt. In der Wahl Ihrer Gegenstände scheint Sie auch mehr eine dunkle Dichterlust als eingeschärfter Malersinn zu leiten. Der Streit beider Geister über den Leichnam Mosis ist eine alberne Judenfabel, die weder Göttliches noch Menschliches enthält. In dem alten Testament steht, daß Moses, nachdem ihm der Herr das gelobte Land gezeigt, gestorben und von dem Herrn im Verborgenen begraben worden sei; dies ist schön. Wenn ich nun aber, besonders wie Sie es behandelt haben, den kurz [140] vorher durch Gottes Anblick begnadigten Mann, da ihn kaum der Athem des Lebens verlassen und der Abglanz der Herrlichkeit noch auf seiner Stirn zuckt, dem Teufel unter den Füßen sehe, so zürne ich mit dem Engel, der einige Augenblicke früher hätte herbeieilen und den Körper des Mannes Gottes von der scheidenden Seele in Ehren übernehmen sollen. Wenn man doch dieses Sujet behandeln wollte, so konnte es, dünkt mich, nicht anders geschehen, als daß der Heilige, noch voll von dem anmuthigen Gesichte des gelobten Landes, entzückt verscheidet und Engel ihn in einer Glorie wegzuheben beschäftigt sind; denn das Wort: »Der Herr begrub ihn«, läßt uns zu den schönsten Aussichten Raum, und hier könnte Satan höchstens nur in einer Ecke des Vorgrundes mit seinen schwarzen Schultern kontrastiren und, ohne Hand an den Gesalbten des Herrn zu legen, sich höchstens nur umsehen, ob nicht auch für ihn etwas hier zu erwerben sein möchte.

Die eherne Schlange steht auch an dem Ort, wo die Geschichte angeführt wird, ganz gut; zum Gemälde für fühlende und denkende Seelen ist's kein Gegenstand. Eine Anzahl vom Himmel herab erbärmlich gequälter Menschen ist ein Anblick, von dem man das Gesicht gern wegwendet, und wenn diese vor einem willkürlichen, ich darf wohl sagen magischen Zeichen sich niederzustürzen und in dumpfer Todesangst ein – ich weiß nicht was – anzubeten gezwungen [141] sind, so wird uns der Künstler schwerlich durch gelehrte Gruppen und wohl vertheilte Lichter für den üblen Eindruck entschädigen. Die beiden andern sind etwas glücklicher, doch auch nicht die fruchtbarsten. Suchen Sie sich künftig, wenn Sie meiner Bitte folgen mögen, beschränkte, aber menschlichreiche Gegenstände auf, wo wenig Figuren in einer mannichfaltigen Verküpfung stehen! Wie sehr wünsche ich, Sie durch das, was ich Ihnen sage, aufmerksam auf sich selbst zu machen, damit Ihre innere Güte und Ihr guter Muth Sie nicht verführen mögen, sich früher dem Ziele näher zu glauben! Junge Künstler sind wie Dichter oft hierin in großer Gefahr, und meist, weil wir den Tadel von Personen, die wir nicht achten, verschmähen, und weil Diejenigen, die wir schätzen, gelind und nachsichtig mit uns zu verfahren pflegen. Schreiben Sie mir aufrichtig, was Sie dagegen aufzustellen haben! Wir wollen sehen, ob wir uns vergleichen und zu etwas Gutem vereinigen können; denn bleiben Sie versichert, daß es mir nur um die Wahrheit zu thun ist und daß ich wünschte, Ihnen nützlich zu sein. Wollen Sie mir einen Gefallen thun, so zeichnen Sie mir etwas, es sei, was es wolle, nach der Natur, und sei es eine Gruppe Bettler, wie sie auf den Kirchtreppen zu liegen pflegen. So viel für diesmal. Für die alten Zeichnungen danke ich Ihnen recht vielmals, die le Sueur's haben mir großes Vergnügen gemacht; wenn Ihnen dergleichen mehr [142] begegnet, so gedenken Sie an mich und schreiben mir, was sie kosten! Den Betrag von hundert Dukaten erhalten Sie vielleicht vor oder doch bald nach diesem Brief. Lassen Sie mich nächstens wieder etwas hören!

Weimar, den 21. Juni 1781.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1781. An Friedrich Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F8F-D