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An Sulpiz Boisserée

Sie erhalten, mein Theuerster, noch einen Brief zwischen Weihnachten und Neujahr, damit ein guter Eingang auf's künftige eröffnet werde. Ich schicke die besten und treusten Wünsche voraus für beiderseitiges Wohl und eine dauernde Fortsetzung unserer schönen Verhältnisse.

Auf besonderen Blättern lege bey, was ich mit Herrn Assessor Ernst v. Schiller, bey seinem letzten Hierseyn, wegen der väterlichen Correspondenz verabredet habe. Tragen Sie solches Herrn v. Cotta zu gelegener Stunde vor. Die Zeitungen sagen uns, daß der Vielseitige in den wichtigsten Landesgeschäften abermals zu bedeutendem Einfluß berufen sey, so daß er für mercantilische Einzelnheiten kaum Zeit und Aufmerksamkeit übrig haben möchte. Sie werden den schicklichen Augenblick benutzen und mir gelegentlich eine freundliche Entschließung zukommen lassen.

Sodann folgt abermals eine Sendung Helena und zunächst nun das Ganze, das Ihnen, hoffe ich, um desto genießbarer seyn wird, als Sie der Exposition dieses Räthsels eine Zeitlang Ihre Aufmerksamkeit gegönnt haben. Freylich bleibt bey so einer Arbeit bis auf die letzte Stunde, da man sie aus Händen gibt, immer noch etwas zu bemerken, zu bestimmen, [262] und man würde gar nicht fertig werden, wenn der Setzer nicht forderte.

Übrigens werde ich im nächsten Vierteljahr vorerst alles, was an der ersten Sendung noch zu thun wäre, beseitigen und dann an einer zwar angenehmen, aber doch bedenklichen Arbeit fortfahren, d.h. an der Sonderung, Reconstruction, Ausarbeitung und Abrundung der zwey Bände Wanderjahre. Es gibt ein wunderliches Opus, muß es aber auch werden nach den seltsamen Schicksalen, die es erdulden müssen.

Und so geht es denn immer weiter fort, damit die zwar wohlgeordnete und in Einem Schranke aufbewahrte Sammlung der 40 Bände noch durch mich in allen ihren einzelnen Theilen möge zurecht gestellt werden. Dieses ist meine größte ja einzige Angelegenheit, um eine testamentarische Verordnung darüber möglichst zu erleichtern.

In unserm Hof- und Staatskreise hat sich diese Zeit her manches Freundliche begeben; Prinz Carl von Preußen verlobte sich mit Prinzeß Marie, und so die ernsten wie die fröhlichen Feyerstunden gingen wünschenswerth vorüber. Weil aber zwischen die irdischen Freuden- und Hoffnungsmahle immer wo nicht ein Zank – doch ein Unglücksapfel hereinfällt, so war der Beinbruch des Königs von Preußen höchst widerlich unerwartet, dessen leidlicher Krankheitszustand und bald zu hoffende Genesung unsre schmerzliche Theilnahme denn auch wieder zu heilen anfängt.

[263] Es ist dießmal erfreulich zu sehen, wie ein junges Paar so hohen Standes wirklich von gegenseitiger Neigung ergriffen sey, was denn doch eigentlich dazu gehört, um einen solchen Schritt mit Zutrauen und Sicherheit zu thun. Seit dem Tode des Kaisers und den russischen Unbilden ist dieß eigentlich das erste Ereigniß, das die Gemüther unsrer höchsten Herrschaften von einem lange erduldeten Druck befreyt. Möge nichts Neues auf unsre Zustände lasten.

Angenehme Besuche sind mir diese Zeit her geworden: erst Alexander v. Humboldt, dann der ältere Bruder, welcher noch gegenwärtig ist. In solchen Unterhaltungen finde ich die erfreuliche Sicherheit, daß ich in meiner abgesonderten Lebensweise doch mit dem Gange der Welt und der Wissenschaft und was noch sonst am Tage etwas werth ist, in reinem Verhältniß bleibe. Womit ich denn für dießmal abschließe, manches Andere von Zeit zu Zeit mitzutheilen mit vorbehaltend.

Nur noch eins: das neue Stück Kunst und Alterthum ist im Gange; mögen Sie etwas von Ihren Unternehmungen und den neusten Vorschritten derselben gesagt haben, so theilen Sie es geneigt mit. Ist irgend ein Abdruck oder Probedruck zu Handen, so erbitte mir denselben. Auch, ob das Blatt nach Gérard, der Einzug Heinrichs des Vierten, welchen der ehrenwerthe Künstler mir durch Sie zugedacht hat, bald zu hoffen sey; im Handel ist es schon. Die [264] Unterhaltungen mit Oberbaudirector Coudray geben oft Gelegenheit, an die ersprießlichen Empfehlungen zu denken, die ihm von Ihrer Seite zu Theil wurden. Er grüßt schönstens.

Und so für's nächste wie für immer

treu angehörig

Weimar den 30. December 1826.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6FDC-0