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An Johann Jacob und Marianne von Willemer

Weimar muß sich dießmal in Person aufmachen, um die theuren Freunde zu begrüßen, und wegen [87] langen Stillschweigens um Verzeichnung bitten; diese kann einem alten Oheim, wofür ich denn eigentlich erklärt bin, von den lieben Mühlbewohnern und den theuren Angehörigen gar wohl gegönnt seyn.

Die Feyer meines Geburtsfestes war dießmal zu meiner Beschämung brillant. Ich, der ich es voraussah, entzog mich in ein heiteres Bergstädtchen am Thüringen Walde, wo ich vor vierzig – funfzig Jahren manches Erfreuliche und Leidige, soviel Glückliches als Widerwärtiges erlebt hatte, welches nur durch eine gränzenlose Thätigkeit allenfalls in's Gleiche zu bringen war und wo doch gar vieles geschah, dessen Wirkungen noch sachte umherschleichen.

Bey einem außerordentlich schönen, dieses Jahr seltenen Wetter befuhr ich auf neuerrichteten Chausseen die sonst kaum gehbaren Wege, freute mich an den Lindenalleen, bey deren Pflanzungen war. Gute damalige Zeitgenossen hatten gealtert, die Spuren mancher Thätigkeit waren verschwunden, anders, weder zu Erwartendes noch zu Ahnendes, hatte sich entfaltet. Genug! das alles war durch einen leidlichen Weltlauf von gescheiten und klugen Menschen recht hübsch geordnet in's Leben geführt und wohlerhalten. Besonders erfreuen die hundertjährigen Fichtenwände, schwarzgrün und düster, von der heitersten Mittagssonne kaum Notiz nehmend. In einiger Entfernung junge, von allen Jahren heranwachsende Reviere, welche ihr helles Gelbgrün, auch [88] bey trüben Himmel unsern Augen entgegenzuschicken nicht versagen.

Diese Einblicke, das Vergangene an's Gegenwärtige knüpfend, wurden erhöht und belebt und die Landschaft vorzüglich staffirt dadurch, daß ich meine Enkel mitgenommen hatte. Diese lieben Wesen und Neulinge drangen ohne poetisches Vehikel in die ersten unmittelbarsten Zustände der Natur. Sie sahen die Kohlenbrenner an Ort und Stelle, Leute, die das Ganze Jahr weder Brot noch Butter noch Bier zu sehen kriegen und nur von Erdäpfel und Ziegenmilch leben. Andere, wie Holzhauer, Glasbläser, sind in ähnlichem Falle, aber alle heiterer als unser einer, der gewöhnlich das Heute verliehrt, weil ein Gestern war und ein Morgen seyn wird.

Da indeß die Frankfurter verbundener Freunde einen Reichthum von Flaschen, der in einem Jahre nicht auszuschlürfen ist, gesendet haben, andere gute Seelen aber einen Becher hinzufügten, das edelste Gestein überbietend, so könnten wir hoffen durch Erhöhung unserer innern Kraft manches Übel zu neutralisiren das uns bedrohen möchte.

Respeckt vor dem Unerforschlichen,

Freude mit Wohlwollenden

angeeignet

Weimar den 22. September 1831.

Der Ihrige! [89]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Johann Jacob und Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-704F-5