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An Carl Ludwig von Knebel

Ich habe dir, mein werther Freund, lange nicht geschrieben und dich nicht, wie ich vorhatte eingeladen, es hat sich dießmal alles so gedrängt, daß mich die Mannigfaltigteit der Existenz und die Anforderungen des Tages fast betäubt haben. Wenn du mein Gedicht sehen wirst, das beynahe ganz geendigt und von vorn bis hinten nochmals durchgearbeitet ist, so wirst du am besten beurtheilen können, daß ich diese 4 Wochen nicht müßig war. Dann fordert die Thätigkeit der Freunde und Kunstverwandten auch noch zur Theilnahme auf. Schiller ist fleißig an seinem Wallenstein, der ältere Humboldt arbeitet an der Übersetzung des Agamemnon von Aeschylus, der ältere Schlegel an einer des Julius Cäsar von Shäkespear, und indem ich so sehr Ursache habe über die Natur des epischen Gedichts nachzudenken, so werde ich zugleich veranlaßt auch auf das Trauerspiel aufmerksam zu seyn, wodurch denn manches besondere Verhältniß zur Sprache kommt.

[81] Dabey bringt noch die Gegenwart des jüngern von Humboldt, die allein hinreichte eine ganze Lebensepoche interessant auszufüllen, alles in Bewegung was nur chemisch, physisch und physiologisch interessant seyn kann, so daß es mir manchmal recht schwer ward mich in meinen Kreis zurück zu ziehen.

Nimmst du nun dazu daß Fichte eine neue Darstellung seiner Wissenschaftslehre, im Philosophischen Journal, herauszugeben anfängt, und daß ich, bey der speculativen Tendenz des Kreises in dem ich lebe, wenigstens im Ganzen Antheil daran nehmen muß, so wirst du leicht sehen, daß man manchmal nicht wissen mag wo einem der Kopf steht, besonders wenn noch reichliche Abendessen die Nacht verkürzen und die den Studien so nöthige Mäßigkeit nicht begünstigen. Ich freue mich daher bald wieder nach Weimar zu kommen um mich wieder in einem andern Kreise zu erholen. Unglaublich aber ist's was für ein Treiben die wissenschaftlichen Dinge herumpeitscht und mit welcher Schnelligkeit die jungen Leute das, was sich erwerben läßt, ergreifen. Lebe indessen wohl in deinem ruhigen Garten wo ich dich zu Ende der Woche wieder zu sehen hoffe.

Jena den 28. März 1797.

G. [82]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7076-B