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An Johann Jakob Riese

Leipzig 20. Oktober 1765.

Morgens um 6.


Riese, guten Tag!

den 21. Abends um 5.

Riese, guten Abend!

Gestern hatte ich mich kaum hingesetzt um euch eine Stunde zu widmen, Als schnell ein Brief von Horn kam und mich von meinem angefangenen Blate hinweg riß. Heute werde ich auch nicht länger bey euch bleiben. Ich geh in die Commoedie. Wir haben sie recht schön hier. Aber dennoch! Ich binn unschlüßig! Soll ich bey euch bleiben? Soll ich in die Commödie gehn? – Ich weiß nicht! Geschwind! Ich will würfeln. Ja ich habe keine Würfel – Ich gehe! Lebt wohl! –

Doch halte! nein! ich will da bleiben. Morgen kann ich wieder nicht da muß ich ins Colleg, und Besuchen und Abends zu Gaste. Da will ich also jetzt schreiben. Meldet mir was ihr für ein Leben lebt? Ob ihr manchmal an mich denkt. Was ihr für Professor habt. & cetera und zwar ein langes & cetera. Ich lebe hier, wie – wie – ich weiß selbst nicht recht wie. Doch so ohngefähr


So wie ein Vogel der auf einem Ast
Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
Der ungestört die sanfte Lust genießt.
[13] Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
von Bußch zu Bußch sich singend hinzuschwingen.

Genug stellt euch ein Vögelein, auf einem grünen Aestelein in allen seinen Freuden für, so leb ich. Heut hab ich angefangen Collegia zu hören.

Was für? – Ist es der Mühe wehrt zu fragen? Institutiones imperiales. Historiam iuris. Pandectas und ein privatissimum über die 7 ersten und 7 letzten Titel des Codicis. Denn mehr braucht man nicht, das übrige vergißt sich doch. Nein gehorsamer Diener! das ließen wir schön unterwege. – Im Ernste ich habe heute zwei Collegen gehört, die Staatengeschichte bey Professor Böhmen, und bei Ernesti über Cicerons Gespräche vom Redner. Nicht wahr das ging eh an. Die andere Woche geht Collegium philosophicum et mathematicum an. –

Gottscheden hab ich noch nicht gesehen. Er hat wieder geheurathet. Eine Ifr. Obristleutnantin. Ihr wißt es doch. Sie ist 19 und er 65 Jahr. Sie ist 4 Schue groß und er 7. Sie ist mager wie ein Häring und er dick wie ein Federsack. – Ich mache hier große Figur! – Aber noch zur Zeit bin ich kein Stutzer. Ich werd es auch nicht. – Ich brauche Kunst um fleißig zu sein. In Gesellschaften, Concert, Comoedie, bei Gastereyen, Abendessen, Spazierfahrten so viel es um diese Zeit angehet. Ha! das geht köstlich. Aber auch köstlich, kostspielig. Zum Henker das fühlt mein Beutel. Halt! rettet! haltet auf! Siehst du sie nicht[14] mehr fliegen? Da marschierten 2 Louisdor. Helft! da ging eine. Himmel! schon wieder ein paar. Groschen die find hier, wie Kreuzer bei euch draußen im Reiche. – Aber dennoch kann hier einer sehr wohlfeil leben. Die Messe ist herum. Und ich werde recht menageus leben. Da hoffe ich des Jahrs mit 300 was sage ich mit 300 mit 200 Rthr. auszukommen. NB. das nicht mitgerechnet, was schon zum Henker ist. Ich habe kostbaaren Tißch. Merkt einmahl unter Küchenzettel. Hüner, Gänße, Truthahnen, Endten, Rebhühner, Schnepfen, Feldhüner, Forellen, Haßen, Wildpret, Hechte, Fasanen, Austern pp. Das erscheinet Täglich. nichts von anderm groben Fleisch ut sunt Rind, Kälber, Hamel pp. das weiß ich nicht mehr wie es schmeckt. Und die Herrlichkeiten nicht teuer, gar nicht teuer. – Ich sehe daß mein Blat bald voll ist und es stehen noch keine Verse darauf, ich habe deren machen wollen. Auf ein andermahl. Sagt Kehren daß ich ihm schreiben werde. Ich höre von Horn, daß ihr euch ob absentiam puellarum forma elegantium beklagt. Laßt euch von ihm das Urteil sagen daß ich über euch fällete.

Goethe. [15]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1765. An Johann Jakob Riese. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-707C-0