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An Carl Friedrich Zelter

Dornburg den 10. Juli 1828.

Bey dem schmerzlichsten Zustand des Innern mußte ich wenigstens meine äußern Sinne schonen und ich [179] begab mich nach Dornburg, um jenen düstern Functionen zu entgehen, wodurch man, wie billig und schicklich, der Menge symbolisch darstellt was sie im Augenblick verloren hat und was sie dießmal gewiß auch in jedem Sinne mitempfindet.

Ich weiß nicht ob Dornburg dir bekannt ist; es ist ein Städchen auf der Höhe im Saalhale unter Jena, vor welchem eine Reihe von Schlössern und Schlößchen gerade am Absturz des Kalkflötzgebirges zu den verschiedensten Zeiten erbaut ist; anmuthige Gärten ziehen sich an Lusthäusern her; ich bewohne das alte neuaufgeputzte Schlößchen am südlichsten Ende. Die Aussicht ist herrlich und fröhlich, die Blumen blühen in den wohlunterhaltenen Gärten, die Traubengeländer sind reichlich behangen, und unter meinem Fenster seh ich einen wohlgediehenen Weinberg, den der Verblichene auf dem ödesten Abhang noch vor drey Jahren anlegen ließ und an dessen Ergrünung er sich die letzten Pfingsttage noch zu erfreuen die Lust hatte. Von den andern Seiten sind die Rosenlauben bis zum Feenhaften geschmückt und die Malven und was nicht alles blühend und bunt, und mir erscheint das alles in erhöhteren Farben wie der Regenbogen auf schwarz-grauem Grunde.

Seit funfzig Jahren hab ich an dieser Stätte mich mehrmals mit ihm des Lebens gefreut und ich könnte dießmal an keinem Orte verweilen, wo seine Thätigkeit auffallender anmuthig vor die Sinne tritt. Das [180] Ältere erhalten und aufgeschmückt, das Neuerworbene (eben das Schlößchen, das ich bewohne, ehemals ein Privat-Eigenthum) mäßig und schicklich eingerichtet, durch anmuthige Berggänge und Terrassen mit den frühern Schloßgärten verbunden, für eine zahlreiche Hofhaltung, wenn sie keine übertriebene Forderungen macht, geräumig und genügend, und was der Gärtner ohne Pedanterie und Ängstlichkeit zu leisten verpflichtet ist, alles vollkommen, Anlage wie Flor.

Und wie es ist wird es bestehen, da die jüngere Herrschaft das Gefühl des Guten und Schicklichen dieser Zustände gleichfalls in sich trägt und es mehrere Jahre bey längerem und kürzerem Aufenthalt bewährt hat. Dieß ist denn doch auch ein angenehmes Gefühl, daß ein Scheidender den Hinterbliebenen irgend einen Faden in die Hand gibt woran ferner fortzuschreiten wär.

Und so will ich denn an diesem mir verliehenen Symbol halten und verweilen.

Damit du aber wissest, wie dein Freund auf einem luftigen Schloß, von wo er ein hübsches Thal mit flachen Wiesen, steigenden Äckern und einer bis an die unzugänglichen steilen Waldränder sich erstreckenden Vegetation übersieht, wie er daselbst diese langen Tage von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zubringt, will ich dir vertrauen: daß ich schon seit einiger Zeit vom Auslande her die Naturwissenschaften wieder aufzunehmen angeregt bin. Das liebe Deutschland hat etwas ganz eigentlich Wunderliches in seiner Art; ich [181] habe redlich aufgepaßt, ob bey denen nun seit drey Jahren eingeleiteten und durchgeführten naturwissenschaftlichen Zusammenkünften mich auch nur etwas berühre, anrühre, anrege, mich, der ich seit funfzig Jahren leidenschaftlich den Naturbetrachtungen ergeben bin; es ist mir aber, außer gewissen Einzelheiten, die mir aber eigentlich doch auch nur Kenntniß gaben, nichts zu Theil geworden, keine neue Forderung ist an mich gelangt, keine neue Gabe ward mir angeboten; ich mußte daher die Interessen zum Capital schlagen und will nun sehen, wie das Summa Summarum im Auslande fruchtet. Verschweige das löblich, denn ich erinnere mich so eben daß bey euch die Wissenschaft sich abermals in großer Breite versammelt.

Allem Guten befohlen.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-708E-8