41/176.
An Sulpiz Boisserée
(Fortsetzung.)
Verzeihen Sie, mein Bester, wenn ich Ihnen exaltirt scheine; aber da mich Gott und seine Natur so viele Jahre mir selbst gelassen haben, so weit ich nichts Besseres zu thun, als meine dankbare Anerkennung durch jugendliche Thätigkeit auszudrücken. Ich will des mir gegönnten Glücks, so lange es mir auch gewährt seyn mag, mich würdig erzeigen und ich verwende Tag und Nacht auf Denken und Thun, wie und damit es möglich sey.
Tag und Nacht ist keine Phrase, denn gar manche nächtliche Stunden, die dem Schicksale meines Alters gemäß ich schlaflos zubringe, widme ich nicht vagen und allgemeinen Gedanken, sondern ich betrachte genau, was den nächsten Tag zu thun? daß ich denn[208] auch redlich am Morgen beginne und so weit es möglich durchführe. Und so thu ich vielleicht mehr und vollende sinnig in zugemessenen Tagen, was man zu einer Zeit versäumt, wo man das Recht hat, zu glauben oder zu wähnen, es gebe noch Wiedermorgen und Immermorgen.
Die Helena ist eine meiner ältesten Conceptionen, gleichzeitig mit Faust, immer nach Einem Sinne, aber immer um und um gebildet. Was zu Anfang des Jahrhunderts fertig war ließ ich Schillern sehen, der, wie unsere Correspondenz ausweist, mich treulich aufmunterte fortzuarbeiten. Das geschah auch; aber abgerundet konnte das Stück nicht werden, als in der Fülle der Zeiten, da es denn jetzt seine volle dreytausend Jahre spielt, vom Untergange Troja's bis auf die Zerstörung Missolunghi's; phantasmagorisch freylich, aber mit reinster Einheit des Orts und der Handlung.
Und so mag es genug seyn! Ist dieß aber nicht schlimmer, als wenn ich gar nichts gesagt hätte? Welchen Werth man endlich auch dem Stücke zuschreiben mag, dergleichen habe ich noch nicht gemacht, und so darf es gar wohl als das Neuste gelten.
Da ich nun wieder lese, was hier auf dem Papier steht, so frage ich mich, ob ich es denn auch fortschicken soll? Denn eigentlich soll man nicht reden von dem, was man thun will, nicht von dem, was man thut, noch was man gethan hat. Alles Dreyes [209] ist gewissen Inconvenienzen unterworfen, die nicht zu vermeiden sind. Warum wohnen wir nicht näher an einander! daß man sich noch einige Zeit freyer und vollständiger mittheilen könnte.
Zelter hat mir meine Briefe, die sich beynahe von 30 Jahren her datiren, zugesendet; sie liegen nunmehr mit den meinen verschränkt in reinlichster Abschrift vor mir. Zwey Abende der Woche lese ich sie mit Riemern durch, um Schreibfehler, Interpunction und sonst zu berichtigen. Jedesmal gedenke ich Ihrer und wünsche Sie zu uns her. Auch hiebey bewährt sich die alte Wahrheit: man soll wenig thun, aber Tüchtiges und es wirken lassen nach Zeit und Umständen. Wie manches, was wir vor 10-15 Jahren unter uns mit einiger Scheu kaum auszusprechen wagten, ist jetzt trivial geworden, und kaum weiß die Welt, was sie gewonnen hat, und die damals nicht wußten, was sie wollten, wissen's noch nicht. Nach meinem Bedünken bleiben diese 3 Foliobände Manuscript noch einige Lustra liegen; denn es wäre Schade, wenn man einiger Rücksichten wegen die erbaulichsten Spitzen abstumpfen wollte. Übrigens ist alles höchst unschuldig, nur Dünkel und Vorurtheil hätten sich zu beschweren und beide verflüchtigen sich mit der Zeit. – Um baldige aufmunternde Erwiderung bittet,
und so fortan!
G. [210]