6/1941.
An Charlotte von Stein
Gotha d. 5. Jun. 1784.
Diese Paar Tage her konnt ich nicht zu einer Ruhestunde kommen meiner Lotte zu schreiben, nun soll sie wenigstens mit diesem Posttage einige Zeilen haben. Seit ich von dir bin hab ich keinen Zweck des Lebens, ich weis nicht wozu mir ein Tag soll an dem ich dich nicht sehen werde, am meisten quält es mich wenn ich etwas gutes geniese ohne es mit dir theilen zu können.
Fritz ist sehr munter, ich habe ihn an alle Orte allein hingeschickt damit er sich betragen lerne und wie ich höre und mercke macht er es recht gut, es freut mich dir ihn immer besser wieder zu bringen.
Man begegnet mir hier sehr freundschafftlich und ich kann offen und zutraulich gegen die Menschen[284] seyn ohne mein Herz hinzugeben das in guter Verwahrung ist.
Ich habe die Schneidern besucht, die mich geiammert hat. Sie ist gewiß ein seltenes gutes Geschöpf, das menschlichem Ansehn nach kein halb Jahr mehr leben kann. Sie trägt ihre Übel mit einer Gelassenheit, ist so verständig beträgt sich so artig daß es mich nicht wundert wenn die beyden Prinzen sehr lebhafften Anteil an ihr nehmen.
Was aus dem Herzog werden soll wenn sie stirbt seh ich nicht, Gott bewahre ieden für so einer Lage. Er hofft noch, ich würde nicht hoffen können. Ich habe es recht lebhafft gefühlt daß ich im Stande wäre in gleichem Falle meiner Geliebten Gift an zu bieten und ihn mit ihr zu nehmen.
Man hat mir allerley schöne Sachen sehen lassen die mich unterhalten haben. Gestern Abend vertraute mir die Oberhofmeisterinn Memoires pour servir à l'Histoire de Mr. de Voltaire ecrits par lui meme unter den feyerlichsten Beteuerungen an. Man sagt das Büchlein solle gedruckt werden, es wird entsetzliches Aufsehn machen und ich freue mich nur darauf weil du es lesen wirst, es ist so vornehm und mit einem so köstlichen Humor geschrieben als irgend etwas von ihm, er schreibt vom König in Preusen wie Sueton die Scandala der Weltherrscher, und wenn der Welt über Könige und Fürsten die Augen aufgehen könnten und sollten so wären diese Blätter wieder eine köstliche[285] Salbe. Allein man wird sie lesen, wie eine Satyre auf die Weiber, sie bey Seite legen und ihnen wieder zu Füssen fallen.
Noch von Weimar her einige Worte. Die Herzoginn hat die ältste Gräfinn sehr zu distinguiren fortgefahren. Ich glaube den Vereinigungs Punckt beyder Seelen zu entdecken und wenn ich dir ihn mittheilen werde sollst du urtheilen ob ich recht habe.
Wie die kleine Agnes mir schöne that und bat ich solle noch einen Tag bleiben, warfen ihr die Brüder vor sie thue es nur weil sie dadurch hoffe den Herzog noch einen Tag zurück zu halten und setzten scherzend die Rangordnung fest, daß er der erste der Weimaraner in ihrem Herzen, ich der zweyte und die Göchhausen die dritte sey. Ich nahm es ohngeachtet ihrer Verteidigung als wahrscheinlich und wahr auf, versicherte daß ich mir fest vorgesetzt habe mit einem Fürsten weder um ein Herz zu streiten noch es mit ihm zu theilen und reiste ab.
Leopold hat mir von Stund zu Stunde besser gefallen und ich hätte wohl gewünscht mit ihm eine Zeitlang zu leben, in den ersten Tagen wenn man mit alten Bekannten wieder zusammen kommt sieht man doch nur das alte Verhältniß biß alsdenn ein weiterer Umgang entwickelt in wie fern sich Menschen verändert haben oder dieselben geblieben sind.
Wie freue ich mich auf einen Brief von dir die ich immer sich gleich und mir nur immer liebevoller [286] gefunden habe. Wie glücklich machst du mich! denn ich mag irgend ein Gut sehen, davon hören oder lesen; so fühle ich daß ich es in dir habe.
Lebe recht wohl und vergnügt in deiner Stille. Mir haben diese wenigen Tage schon sehr gut gethan ich bin wohl und munter und freue mich auf die Eisenacher Felsen wo ich dein gedencken und wo möglich dir etwas zeichnen werde. Die Nation selbst freut mich nicht und alles, sogar Madm. Ackermann wiederzufinden damit man ia glaube man sey zu hause ist nicht das anmutigste wenn man entfernt von der Beliebtesten fühlt daß man sehr weit von Hause ist.
Adieu heute werde ich deinen Ring anstecken, und mich im Stillen deiner Liebe bey dessen Anblick erfreuen. Morgen gehe ich nach Eisenach und du hörst bald wieder von mir.
Die Öttinger hab ich besucht.
Lebe wohl du einzige.
G.