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An den Herzog Carl August

Tübingen den 11. Sept. 1797.

Vom 25. August an, da ich von Frankfurt abreiste, habe ich langsam meinen Weg hierher genommen. Ich bin nur bey Tage gereist und habe nun vom schönen Wetter begünstigt, einen deutlichen Begriff von den Gegenden die ich durchwandert habe, ihren Lagen, Verhältnissen, Ansichten und Fruchtbarkeit. Durch die Gelassenheit womit ich meinen Weg mache, lerne ich, freylich etwas spät, noch reisen. Es giebt eine Methode durch die man überhaupt, in einer gewissen Zeit, die Verhältnisse eines Orts und einer Gegend und die Existenz einzelner vorzüglicher Menschen gewahr werden kann. Ich sagegewahr werden, weil der Reisende kaum mehr von sich fordern darf; es ist schon genug, wenn er einen saubern Umriß nach der Natur machen lernt und allenfalls die großen Partien von Licht und Schatten anzulegen weiß, an das Ausführen muß er nicht denken.

Der Genuß der schönen Stunden, die mich durch die Bergstraße führten, ward durch die sehr ausgefahrnen Wege einigermaßen unterbrochen. Heidelberg und seine Gegend betrachtete ich in zwey völlig heitern Tagen mit Verwunderung und ich darf wohl[285] sagen mit Erstaunen. Die Ansichten nähern sich, von mehrern Seiten, dem Ideal, das der Landschaftsmahler, aus mehrern glücklichen Naturlagen sich in seiner schaffenden Phantasie zusammenbildet. Der Weg von da nach Heilbronn ist theils für's Auge sehr reizend, theils durch den Anblick von Fruchtbarkeit vergnüglich.

Heilbronn hat mich sehr interessirt, sowohl wegen seiner offnen fruchtbaren wohlgebauten Lage, als auch wegen des Wohlstandes der Bürger, und der guten Administration ihrer Vorgesetzten. Ich hätte gewünscht diesen kleinen Kreis näher kennen zu lernen.

Von da nach Stuttgard wird man von der Einförmigkeit einer glücklichen Cultur beynah trunken und ermüdet. In Ludwigsburg besah ich das einsame Schloß und bewunderte die herrlichen Alleenpflanzungen, die sich durch die Hauptstraßen des ganzen Ortes erstrecken.

In Stuttgard blieb ich neun Tage. Es liegt in seinem ernsthaften wohlgebauten Thal sehr anmuthig und seine Umgebungen, sowohl nach den Höhen, als nach dem Neckar zu, sind auf mannigfaltige Weise charakteristisch. Von dem Zustande der Künste daselbst und von ihrem Einfluß auf die Einwohner ist in einem besonderen Blatte gesprochen. Eigentliche wissenschaftliche Richtung bemerkt man wenig, sie scheint mit der Carlsakademie wo nicht verschwunden doch sehr vereinzelt worden zu seyn. Den Preußischen [286] Gesandten Madeweiß besuchte ich und sah bey ihm ein paar sehr schöne Bilder, die dem Legations Rath Abel, der gegenwärtig in Paris ist, gehören. Die Sammlung dieses Mannes, der für sich und seine Freunde sehr schätzbare Gemählde aus dem französischen Schiffbruch zu retten gewußt hat, ist aus Furcht vor den Franzosen in den Häusern seiner Freunde zerstreut, wo ich sie nach und nach aufgesucht habe.

Den sehr corpulenten Erbprinzen sah ich in der Comödie; eine schwarze Binde, in der er den, vor kurzem auf der Jagd gebrochnen Arm trug, vermehrte noch sein Volum. Die Erbprinzeß ist wohlgebaut, und hat ein verständiges gefälliges Ansehen, ihr Betragen sowohl nach innen als nach außen muß, wie ich aus den Resultaten bemerken konnte, äußerst klug und den Umständen gemäß seyn. Der regierende Herzog scheint nach dem Schlagflusse das ihn im Juli des vorigen Jahres betraf, nur noch so leidlich hinzuleben. Die Wogen des Landtags haben sich gelegt und man erwartet nun was aus der Infusion sich nach und nach präcipitiren wird.

Ich machte in guter Gesellschaft den Weg nach Kannstadt und Neckar Rems, um das Lager von den ohngefähr 25,000 Mann Österreichern zu sehen das zwischen Hoberg und Mühlhausen steht und den Neckar im Rücken hat, es geht darinn, wie natürlich, alles sauber und ordentlich zu.

Darnach sah ich auch Hohenheim mit Aufmerksamkeit, [287] indem ich einen ganzen Tag dazu anwendete. Das mit seinen Seitengebäuden äußerst weitläufige Schloß und der mit unzähligen Ausgeburten einer unruhigen und kleinlichen Phantasie übersäete Garten gewähren, selbst im einzelnen, wenig befriedigendes; nur hier und da findet man etwas, das besser behandelt eine gute Wirkung hervorgebracht haben würde.

Einen thätigen Handelsmann, gefälligen Wirth und wohl unterrichteten Kunstfreund, der viel Talent in eignen Arbeiten zeigt und den Nahmen Rapp führt, fand ich in Stuttgard und bin ihm manchen Genuß und Belehrung schuldig geworden. Prof. Dannecker ist, als Künstler und Mensch, eine herrliche Natur, und würde, in einem reichern Kunstelemente, noch mehr leisten als hier, wo er zu viel aus sich selbst nehmen muß.

So ging ich denn endlich von Stuttgard ab, durch eine zwar noch fruchtbare, doch um vieles rauhere Gegend, und bin nun am Fuße der höhern Berge angelangt, welche schon verkündigen was weiterhin bevorsteht. Ich habe hier schon den größern Theil von Professoren kennen gelernt, und mich auch in der schönen Gegend umgesehen, die einen doppelten Charakter hat, da Tübingen auf einem Bergrücken, zwischen zwey Thälern liegt, in deren einem der Neckar, in dem andern die Ammer fließt.

Wie auslöschlich die Züge der Gegenstände im Gedächtniß seyen, bemerke hier mit Verwunderung, indem [288] mir doch auch keine Spur vom Bilde Tübingens geblieben ist, das wir doch auch, auf jener sonderbaren und angenehmen, ritterlichen Expedition, vor so viel Jahren, berührten.

Die Academie ist hier sehr schwach, ob sie gleich verdienstvolle Leute besitzen und ein ungeheures Geld auf die verschiednen Anstalten verwendet wird; allein die alte Form widerspricht jedem fortschreitenden Leben, die Wirkungen greifen nicht in einander, und über der Sorge wie die verschiedenen Einrichtungen im alten Gleise zu erhalten seyen, kann nicht zur Betrachtung kommen was man ehemals dadurch bewirkte und jetzt auf andere Weise bewirken könnte und sollte. Der Hauptsinn einer Verfassung wie die Wirtenbergische bleibt nur immer: die Mittel zum Zwecke recht fest und gewiß zu halten, und eben deswegen kann der Zweck, der selbst beweglich ist, nicht wohl erreicht werden.


Tübingen d. 12. Sept. 1797.

Ihren lieben und verehrten Brief vom 30. Aug. habe bey meiner Ankunft hier erhalten und mich Ihres Andenkens herzlich gefreut. Von meiner Reise und der Stuttgarder Kunstepoche lege ich ein Paar Extrablätter bey. Nächstens werde ich einige Vorschläge thun wie wir, sowohl für den Schloßbau als die Zeichenschule, die jetzigen Talente und Stimmungen des Kunstpersonals in gedachter Residenz nutzen könnten.

[289] Die Absendung des kleinen Jagemanns nach Wien wird gewiß auch guten Effect thun. Er wird daselbst auf eine eigne, uns noch unbekannte Art gebildet und indem wir jene Academie dadurch näher kennen lernen, so eignet sich einer der unsern von ihren Vorzügen hoffentlich einen wichtigen Theil zu. Ich freue mich innig so oft ich sehe, daß Sie in der Überzeugung verharren, wie löblich und in einem höheren Sinne nützlich es ist junge Leute durch Absendung in fremde Gegenden sich bilden zu lassen und sich dadurch die mannigfaltige Cultur, die in der Welt ausgesät ist, mehr oder weniger zuzueignen und bey sich fortwachsen zu sehen. Um desto unangenehmer ist mir's, daß Sie an Stein Ihre Hoffnungen nicht erfüllt sehen. Das was Sie über ihn sagen scheint mir alles zu erschöpfen was über das Verhältniß geurtheilt werden kann. Jene Existenz hat einen Eindruck auf ihn gemacht dem er zu widerstehen nicht Herr ist, ohne deßwegen einen bestimmten Plan zu haben wie er zur Erfüllung seiner Wünsche gelangen könnte.

Wegen Scherers Adresse wüßte ich nur zu rathen einen Brief durch den Weg des Burgemeister Dorner an ihn gelangen zu lassen.

Ich höre mit Leide, daß Ihre Stadt einen großen Verlust durch Feuer erlitten hat. Sollte es nicht möglich seyn, da die Scheunen neu und besser aufgebaut werden, von Raum zu Raum Brandgiebel [290] zwischen dieselben anzubringen. Freylich sind die Kosten groß, doch welche Sicherheit gewährt eine solche Anstalt für alle Zukunft!

Die Briefe des Grafen Bünau bin ich sehr neugierig zu lesen, besonders über die bestimmten Gegenstände die wir so wohl kennen seine Gedanken zu vernehmen. Von hier denke ich nun auch bald aufzubrechen; sobald ich am Zürcher See angelangt bin, melde ich mich wieder. Wahrscheinlich wird mich alsdann das Heimweh wieder ergreifen und ich werde vor eintretendem Winter wieder suchen mein ruhiges und bequemes Haus zu erreichen. Durch Natur und Neigung, Gewohnheit und Überzeugung bin ich nur in dem Ihrigen zu Hause. Von Frankfurt fühlte ich mich bald wieder abgelöst und seitdem habe ich in einer fremden Welt nur gesucht Faden anzuknüpfen, durch die wir künftig mit mancherley nützlichem zusammenhängen können.

Leben Sie recht wohl, empfehlen mich Ihrer Frau Gemahlinn zu Gnaden und bleiben beyde meiner eingedenk.

Goethe.


[Beilage.]

Es ist sehr interessant zu beobachten aus welchem Punct die Künste gegenwärtig in Stuttgard stehen. Herzog Carl, dem man bey seinen Unternehmungen eine gewisse Großheit nicht absprechen kann, wirkte[291] doch nur zu Befriedingung seiner augenblicklichen Leidenschaften und zur Realisirung abwechselnder Phantasien. Indem er aber auf Schein, Repräsentation, Effect arbeitete, so bedurfte er besonders der Künstler, und indem er nur den niedern Zweck im Auge hatte, mußte er doch die höheren befördern. In früherer Zeit begünstigte er das lyrische Schauspiel und die großen Feste, er suchte sich die Meister zu verschaffen, um diese Erscheinungen in größter Vollkommenheit darzustellen. Diese Epoche ging vorbey, allein es blieb eine Anzahl von Liebhabern zurück, und zur Vollständigkeit seiner Akademie gehörte auch der Unterricht in Musik, Gesang, Schauspiel und Tanzkunst. Das alles erhält sich noch, aber nicht als ein lebendiges, forfschreitendes, sondern als ein stillstehendes und abnehmendes Institut. Musik kann sich am längsten erhalten, dieses Talent kann mit Glück bis in ein höheres Alter geübt werden, auch ist es, was einzelne Instrumente betrifft, allgemeiner, und von mehreren jungen Leuten erreichbar. Das Theater dagegen ist viel schnellern Abwechselungen unterworfen und es ist gewissermaßen ein Unglück wenn das Personal einer besondern Bühne sich so lange nebeneinander erhält; ein gewisser Ton und Schlendrian pflanzt sich leicht fort, so wie man z.B. dem Stuttgarder Theater, an einer gewissen Steifheit und Trockenheit, seinen akademischen Ursprung leicht abmerken kann. Wird, wie gesagt, ein Theater nicht oft genug durch neue[292] Subjecte angefrischt, so muß es allen Reiz verlieren. Singstimmen dauern nur eine gewisse Zeit, die Jugend, die zu gewissen Rollen erforderlich ist, geht vorüber, und so hat ein Publikum nur eine Art von kümmerlicher Freude, durch Gewohnheit und hergebrachte Nachsicht. Dies ist gegenwärtig der Fall in Stuttgard und wird es lange bleiben, weil eine wunderliche Constitution der Theateraufsicht jede Verbesserung sehr schwierig macht.

Miholé ist abgegangen und nun ist ein andrer Entrepreneur angestellt, der die Beyträge des Hofes und Publikums einnimmt und darüber, so wie über die Ausgaben, Rechnung ablegt; sollte ein Schaden entstehen, so muß er ihn allein tragen, sein Vortheil hingegen darf nur bis zu einer bestimmten Summe steigen, was darüber gewonnen wird muß er mit der Herzoglichen Theaterdirektion theilen. Man sieht wie sehr durch eine solche Einrichtung, was zu einer Verbeßrung des Theaters geschehen könnte, paralysirt wird. Ein Theil der ältern Acteurs darf nicht abgedankt werden.

Das Ballet verhält sich überhaupt ohngefähr wie die Musik, Figuranten dauern lange, wie Instrumentalisten, und sind nicht schwer zu ersetzen, so können auch Tänzer und Tänzerinnen in einem höhern Alter noch reizend seyn, unterdessen findet sich immer wieder ein junger Nachwuchs. Dieses ist auch der Stuttgarder Fall, das Ballet geht überhaupt seinen alten Gang und sie haben eine junge sehr reizende Tänzerinn, [293] der nur eine gewisse Mannigfaltigkeit der Bewegungen, und mehr Charakteristisches in ihrem Thun und Lassen fehlt, um sehr interessant zu seyn. Ich habe nur einige Divertissements gesehen. Unter den Partikuliers hat sich viel Liebe zur Musik erhalten und es ist manche Familie die sich im Stillen mit Clavier und Gesang sehr gut unterhält. Alle sprechen mit Entzücken von jenen brillanten Zeiten, in denen sich ihr Geschmack zuerst gebildet, und verabscheuen deutsche Musik und Gesang.

Bildhauer und Mahler schickte der Herzog, wenn sie gewissermaßen vorbereitet waren, nach Paris und Rom. Es haben sich vorzügliche Männer gebildet, die zum Theil hier sind, zum Theil sich noch auswärts befinden. Auch unter Liebhaber hat sich die Lust des Zeichnens, Mahlens und Bossirens verbreitet, mehr oder weniger bedeutende Sammlungen von Gemählden und Kupferstichen sind entstanden, die ihren Besitzern eine angenehme Unterhaltung, eine geistreiche Communication mit andern Freunden gewähren.

Sehr auffallend ist es daß der Herzog gerade die Kunst die er am meisten brauchte, die Baukunst, nicht auf eben die Weise in jungen Leuten beförderte, und sich die so nöthigen Organe bildete, denn es ist mir keiner bekannt, der auf Baukunst gereist wäre. Wahrscheinlich begnügte er sich mit Subjecten die er um sich hatte und gewohnt war, und mochte durch sie seine eigne Ideen gern mehr oder weniger ausgeführt[294] sehen. Dafür kann man aber auch bey allem was in Ludwigsburg, Stuttgard und Hohenheim geschehen ist, nur das Material, das Geld, die Zeit, so wie die verlorne Kraft und Gelegenheit was gutes zu machen bedauern. Ein Saal, der jetzt in Arbeit ist, verspricht endlich einmal geschmackvoll verziert zu werden.Isopi, ein trefflicher Ornamentist, den der Herzog kurz vor seinem Todte von Rom verschrieb, führt die Arbeit nach Zeichnungen von Thouret aus. Dieses ist ein junger lebhafter Mahler der sich aber mit viel Lust auf Architektur gelegt hat.

Das Kupferstechen steht wirklich hier auf einem hohen Puncte, Professor Müller ist einer der ersten Künstler in dieser Art, und hat eine ausgebreitete Schule, die, indem er nur große Arbeiten unternimmt, die geringern buchhändlerischen Bedürfnisse, unter seiner Aufsicht, befriedigt. Prof. Leybold, sein Schüler, arbeitet gleichfalls nur an größeren Platten und würde an einem andern Orte, in Absicht der Wirkung auf eine Schule, das bald leisten was Prof. Müller hier thut.

Übersieht man nun mit Einem Blicke alle diese erwähnten Zweige der Kunst und andere, die sich noch weiter verbreiten, so überzeugt man sich leicht daß nur bey einer so langen Regierung, durch eine eigne Richtung eines Fürsten, diese Erndte gepflanzt und ausgesäet werden konnte. Ja man kann wohl sagen: daß die spätern und bessern Früchte jetzo erst zu reifen [295] anfangen. Wie schade ist es daher daß man gegenwärtig nicht einsieht welch ein großes Capital man daran besitzt, mit wie mäßigen Kosten es zu erhalten und weit höher zu treiben sey. Aber es scheint niemand einzusehen welchen hohen Grad von Wirkung die Künste, in Verbindung mit den Wissenschaften, Handwerk und Gewerbe in einem Staate hervorbringen. Die Einschränkungen, die der Augenblick gebietet, hat man von dieser Seite angefangen und dadurch mehrere gute Leute mißmuthig und zum Auswandern geneigt gemacht.

Vielleicht nutzt man an andern Orten diese Epoche und eignet sich, um einen leidlichen Preis, einen Theil der Cultur zu, die hier durch Zeit, Umstände und große Kosten sich entwickelt hat.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7122-0