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An Johann Heinrich Merck

[Weimar] den 5. August 1778.

Es hält jetzt sehr schwer, daß ich aus mir herausgehe; an dem ruhigen Abend sollst Du doch ein Paar Worte haben. Wie ich hörte, daß Du mit der Herzogin wärst, reist' ich immer mit Euch, denn ich wußt, was unter Euch werden würde, und wie Du ihnen würdest leben helfen und genießen. Und Du hast denn auch wieder einmal Athem geschöpft; es geht nun wieder eine Weile im Leben weg. Wenn Du mit der Mutter auf künftig Frühjahr kommen kannst, so richt's ein; sie sagen vom Winter, das ists nichts. In meinem Thal wird's immer schöner, das heißt es wird mir näher und Andern und mir genießbarer, da ich die vernachläßigten Plätzchen alle mit Händen der Liebe polstre und putze, und jederzeit mit größter Sorgfalt die Fugen der Kunst der lieben immer bindenden Natur zu befestigen und zu decken übergebe. Das herzige Spielwerk ist ein Kahn, auf dem ich oft über flache Gegenden meines Zustandes wegschwimme. Im Innersten aber geht alles nach Wunsch. Das Element, in dem ich schwebe, hat alle Ähnlichkeit mit dem Wasser; es zieht jeden an und doch versagt dem, der auch nur an die Brust hereinspringt, im Anfange der Athem; muß er nun gar gleich tauchen, so verschwinden ihm Himmel und Erde. Hält man's dann eine Weile aus und kriegt nur das Gefühl, daß einen [237] das Element trägt und daß man doch nicht untersinkt, wenn man gleich nur mit der Nase hervorguckt, nun so findet sich im Menschen auch Glied und Geschick zum Froschwesen, und man lernt mit wenig Bewegung viel thun. Bäume pflanz ich jetzt, wie die Kinder Israel Steine legten zum Zeugniß. Und apropos vom Baumpflanzen zum Herrn Oheim. Du weißt, daß er mir lieb seyn muß und ich bitte Dich, endig' ihn rund und ohne etwaige fremde Ingredienzien, wie es einem am Schlusse leider oft geht. Und dann erlaube mir, daß ich ihn hier zusammendrucken lasse. In dem Sau Merkur ist's doch, als ob man was in eine Cloake würfe, es ist recht der Vergessenheit gewidmet und so schnitzelweis genießt kein Mensch was. Auch hab ich eine Bitte, daß, wenn Du mehr so was schreibst, daß Du mir weder direct noch indirect ins theatralische Gehege kommst, indem ich das ganze Theaterwesen in einem Roman, wovon das erste Buch, dessen Anfang Du gesehn hast, fertig ist, vorzutragen bereit bin.

Von meinen Reisen muß ich Dir auch was sagen. Letzten Winter hat mir eine Reise auf den Harz das reinste Vergnügen geben. Du weißt, daß so sehr ich hasse, wenn man das Natürliche abenteuerlich ma chen will, so wohl ist mir's wenn das Abenteuerlichste natürlich zugeht. Ich machte mich allein auf, etwa den letzten November, zu Pferde, mit einem Mantelsack und ritt durch Schloßen, Frost und Koth [238] auf Nordhausen den Harz hinein in die Baumannshöhle, überWernigerode, Goslar auf den hohen Harz, das Detail erzähl' ich Dir einmal, und überwand alle Schwierigkeiten und stand den 8. Dez., glaub ich, Mittags um eins auf dem Brocken oben in der heitersten, brennendsten Sonne, über dem anderthalb Ellen hohen Schnee, und sah die Gegend von Teutschland unter mir alles von Wolken bedeckt, daß der Förster, den ich mit Mühe persuadirt hatte, mich zu führen, selbst vor Verwunderung außer sich kam, sich da zu sehen, da er viel Jahre am Fuße wohnend das immer unmöglich geglaubt hatte. Da war ich vierzehn Tage allein, daß kein Mensch wußte, wo ich war. Von den tausend Gedancken in der Einsamkeit findest Du auf beiliegendem Blatt fliegende Streifen.

Auch in Berlin war ich im Frühjahr; ein ganz ander Schauspiel! Wir waren wenige Tage da, und ich guckte nur drein wie das Kind in Schön-Raritäten Kasten. Aber Du weißt, wie ich im Anschaun lebe; es sind mir tausend Lichter aufgangen. Und dem alten Fritz bin ich recht nah worden, da ich hab sein Wesen gesehn, sein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien und zerrissene Vorhänge, und hab über den großen Men schen seine eignen Lumpenhunde räsonniren hören. Einen großen Theil von Prinz Heinrichs Armee, den wir passirt sind, Manoeuvres und die Gestalten der Generale, die ich hab halb dutzendweis [239] bei Tisch gegenüber gehabt, machen mich auch bei dem jetzigen Kriege gegenwärtiger. Mit Menschen hab ich sonst gar Nichts zu verkehren gehabt und hab in preußischen Staaten kein laut Wort hervorgebracht, das sie nicht könnten drucken lassen. Dafür ich gelegentlich als stolz . ausgeschrieen bin. –

Die Raphaels, die mir die Herzogin mitgebracht hat, machen mir viel Freude. Ich trieb jetzt allerlei Bildnerei. Noch hier hab ich einen alten Steinbruch wieder aufgerührt, den wohl seit hundert Jahren Niemand gebraucht; am alten Schloß waren Quadraturen davon an Portals; in den Stein läßt sich mit der höchsten Delicatesse arbeiten, was Du willst; er ist sehr hart, läßt sich aber leicht schaben und raspeln, hat keine Klüfte, nimmt kein Wasser an und seine Farbe ist das schöne grau, dem man so ängstlich nachläuft, und es so selten findt. Französische Dosen haben's, es ist nicht blau, noch gelblich; es ist ein Waldstein, die Mittelsorte zwischen dem gemeinen und dem Marmor. Adieu Alter, nun hast Du wieder was von mir. Sag mir auch was, behalt mich lieb. Wenns nicht Krieg gibt, besuch ich Euch wohl.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1778. An Johann Heinrich Merck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-716A-0