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An Friedrich Theodor von Müller

Es ist sehr schön, mein Theuerster, viel Gereister und Reisender, daß Ihr lieber Brief gerade so ankommt, daß ich so viele gute und freundliche Nachrichten erwidern kann. Ich beginne daher sogleich von demjenigen, was an mir Bleibendem vorbeyreiste, eilig aufzuzeichnen. Zelters Verweilen brachte mir unsägliches Gute, ich konnte ihm manches inzwischen Entstandene, Gesammelte, Redigirte vorlegen und von ihm wieder empfangen, was in der Zwischenzeit von ihm ausgegangen und sich an ihn angeschlossen hatte. Außer einer trefflichen Phantasie von Hummel [102] entwickelte sich leider nichts Musikalisches in unserer Umgebung, indessen benutzten wir treulich Tag und Stunde auf mancherley Weise. Bibliothekar Spiker trat ein, gab Gelegenheit zu reicher Unterhaltung. Zelter und seine Tochter blieben bis zum 19. Juli; Schmeller hatte dessen Bild recht glücklich festgehalten.

Der Band Tragödien von Lord Byron, mir schon 1821 zugedacht und zugeschrieben, war, wenn ich nicht irre, schon bey Ihrer Abreise bey mir angekommen; dadurch ward ich angeregt Sardanapal, die bei den Foskaris, Cain wieder zu lesen, zu immer größerm Erstaunen des bewundernswürdigen Talents.

An Kunst und Alterthum wurde fortgedruckt, so daß der Schluß dieses Stücks schon in die gierigen Hände des Setzers gelangen konnte und ein abgeschlossenes Exemplar bey Ihrer Rückkunft aufwarten kann.

Herr Präsident Weyland ist von Paris zurückgekommen, von gesundem jugendlichem Ansehn; die von ihm übernommene großherzogliche Biographie dünkt mir sehr gut gerathen; er hat die Stellung, in der er sich befand und befindet, vollkommen gut genutzt; er konnte auftreten als vieljähriger Mitlebender und Mitwirkender, die Mittelglieder so wie die Resultate überschauend. Mit Gradheit und Aufrichtigkeit, gebildetem Sinn und Vortrag. Diese bedeutende Arbeit hätte in keine bessere Hände gelangen können.

Auch ist mir seine Rückkehr durch manches Mitgebrachte sehr erfreulich gewesen. Stapfers Übersetzung [103] meiner dramatischen Werke kamen dadurch vollständig in meine Hände; Baron Cuvier sandte die besondern Abdrücke seiner im Institut neuerlichst gehaltenen Vorträge. Wenn man sie nach einander mit Ruhe liest, so erstaunt man über den Reichthum des wissenschaftlichen Gehalts, über das bewegte Leben, wodurch dieser zusammengeführt wird, wie über die Klarheit und Faßlichkeit des Vortrags. Der Gelehrte, der Welt- und Geschäftsmann treten vereint auf.

Zufällig sind mir in diesen Tagen der neuste Plan von Paris und sehr schöne topographische Kupfer dieser Weltstadt zur Hand gekommen, und ich wüßte nicht alles zu erwähnen, was mich nöthigt, meine Gedanken öfters in jenen Gegenden walten zu lassen.

Freund Meyer ist glücklich wieder von Carlsbad zurück, nach eigenem und des Arztes Zeugniß von den so geprüften Quellen auch dießmal begünstigt.

Der gleichfalls zurückgekommene Herr v. Conta bringt das Gleiche, am meisten aber Frau Oberkammerherrin, brieflich und mündlich durch die Rückkehrenden, rühmt sich eines allgemeinen Wohlseyns, ja erfreulichster Verjüngung.

Unserm werthen Herrn General-Superintendenten ist es nicht so gut in Franzenbrunnen gegangen, er hat es mit Marienbad vertauscht. Was Frau Gräfin Henckel und Fräulein Ulrike von diesen Wassern zu sagen haben, ist uns noch nicht ganz klar geworden.

[104] Von Wilhelmsthal hört man nur das Allerbeste; Serenissimus werden gerade heut in Brückenau angelangt seyn. Daß es Ihnen dort so wohl gegangen, freut mich von Herzen, ob sich gleich einige Betrübniß dazu mischt, daß meine Immobilität mich abhält, dem wohlwollenden Fürsten und Herrscher mich gleichfalls zu nähern und für so viel Gnade mich dankbar zu erweisen.

Gerade in diesem Zusammenhang kann ich nicht verschweigen, daß eines jungen Braunschweiger Mahlers, Ludwig Sebbers, gar hübsches Talent mich verleitet hat, ihm mehrere Stunden zu gewähren, da er eifrigst wünschte mein Porträt auf Porzellan zu mahlen. Er will in München des Königs Majestät als Kronprinzen mit Glück auf eine Vase gemahlt haben; meine Züge hat er mit Sorgfalt auf eine Tasse gebracht und sich dabey in seinem Fach eben so geschickt als aufmerksam bewiesen. Die Unterhaltung mit ihm war nicht ohne Nutzen, wenn ich auch nur das berechnen wollte, daß ich von der Technik dieses so weit ausgebreiteten Metiers mich sehr unterrichten konnte.

Am wenigsten darf ich vergessen zu referiren, daß Rath Vogel von Wilhelmsthal sehr glücklich zurückgekommen; er hat sich dort gefallen, weil er gefiel, wovon ein eigenhändiges Zeugniß des Fürsten zu mir gelangt ist.

Heinrich Müller hat ein paar Blätter geschickt, woraus wenigstens ersichtlich ist, daß er nicht feyert;[105] ein einzelnes Porträt, welches man gelten läßt, wenn man es nicht mit Bendixens Arbeit vergleicht, dazu ein wunderliches Familienbild: ein Vater mit wohlgebildeten erwachsenen Söhnen und einer Tochter. Der Papa sitzt und sieht so impassible drein wie Fürst Talleyrand auf dem Congreßkupfer. So sehen denn auch die Kinder aus dem Bilde heraus und vor sich hin, eben als wenn sie weder dem Vater noch sich einander angehörten. Der gute Künstler hat es wohl gefühlt und bevorwortet seine Arbeit durch das Unerfreuliche seines Gegenstandes. Möge seine Reise nach Paris ihn auf das beste fördern! ich bin durch die ausführliche Unterhaltung mit Boisserée über diese Technik so von ihrer Schwierigkeit durchdrungen, daß ich für den Einzelnen, der sich damit befaßt, kaum ein günstiges Gelingen hoffen darf.

Demoiselle Sontag, auf die ich niemals viel gerechnet habe, zu lange in Paris aufgehalten, hat sich nur durchgeschlichen, um in Berlin zu rechter Zeit anzukommen. Mir ist es nach meiner Weise wirklich angenehm; denn was man nicht immer haben kann, soll man lieber ganz entbehren. Überhaupt bin ich dahin gelangt, am liebsten ein vernünftiges Wort zu hören. Sie aber hat doch etwas versäumt, denn ihr war zugedacht, was sie hätte aufweisen können. Und dann wissen Sie doch auch, daß der Dichter nicht gerne sieht, wenn sein Licht unter dem Scheffel verlischt und er einen guten Einfall secretiren muß.

[106] Glücklich sind Sie daher zu preisen, mein Theuerster, daß es Ihnen so schön gelungen ist, ein Geschenk in Brückenau zurück zu lassen, das gewiß Freude gemacht hat und machen wird.

Zelter ist wieder in Berlin freudig angelangt, hat mich mit einer gar hübschen Composition erquickt, von der auch Sie, wie ich hoffe, fröhlich aufgeregt werden sollen. Hiemit aber sey es übergenug, und nur zum Schlusse noch die allerbesten Grüße den werthen Freunden in Pempelfort. Bey Ihrer Rückkehr, hoff ich, werden Sie mir Local und Bewohner auf das lebhafteste vergegenwärtigen. Und so immerfort eine glückliche Reise!

treulichst

Weimar den 3. August 1826.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Friedrich Theodor von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7174-5