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An August von Goethe

Marienbad d. 29. Jun. 1822.

Auf deine liebe Sendung will nun auch einiges, am zehnten Tag meines Hierseyn vernehmen lassen. Das Wetter ist herrlich zur Kur, obgleich dem Feldblau schädlich. Athmosphärische Erscheinungen ganz eigen herrlich. Gestern Nachmittag der Himmel voll drohender Wolcken, und doch nur einzelne Streifregen in den Gebirgen. Bey solcher allgemeinen Trockniß der Kreuzbrunn von besonderer Stärcke und Reinheit. Der Besuch nicht starck, Hoffnung von Tag zu Tag auf mehrere Gäste. Hier im Hause wie vorm Jahr alles schön und musterhaft. Ich wohne im zweyten Stock über meinem vorigen Quartier, das Essen fürtrefflich, die Gesellschaft anständig und angenehm. Auch im öffentlichen ist sehr viel geschehen; sehr bequeme Fahrwege verbinden das Ganze; der große Raum vor unserm Hause, ob ihm gleich die Hitze das grüne versagt, ist [82] doch sehr hübsch und für die Zukunft erfreulich angelegt. Gethan hab' ich manches und es rückt fort nach allen Seiten.

Die Fahrt nach Frankenhausen billige sehr; man sollte nur immer ohne grosse Umstände das nächste Bad wählen. Der Geist wird durch neue Gegenstände, der Körper durch Trincken und Baden angeregt; doch müssen beyde sich selbst helfen. Grüße alles. Auch versäume nicht Schopenhauers ein freundlich Wort zu sagen. Ich habe Gabriele mit viel Vergnügen gelesen; die Mama soll gelobt seyn daß sie das Buch geschrieben, die Tochter daß sie es gegeben hat. Es ist gut, sehr gut.

Du siehst hieraus daß man 2000 Pariser Fuß über die Meeresfläche sich erheben und im geistlichen Bezirck sich niederlassen muß um zu einiger Gemüthsberuhigung zu gelangen, nöthig solcher Aufmerksamkeit. Ich habe auf Spaziergängen einiges darüber in meine Schreibtafel geschrieben, kann ich es aufs Papier bringen sollt ihr's auch vernehmen.

Meine Lebensweise ist sehr einfach: ich trinke morgens im Bette, habe den dritten Tag, trinke Abends am Brunnen, speiße Mittags in Gesellschaft und so geht es denn hin. Der Wein ist auch endlich angekommen, er wird auf Krüge gefüllt, der Überrest mag bis aufs Jahr liegen. Herr von Helldorf hat mir sechs Flaschen Würzburger verehrt, mit denen ich mich auch hingehalten habe.


[83] am 2ten Juli.

Indessen hat mir Pol. Grüner einen Theil der Carlsbader Flaschen gebracht und ich bin also wohl versorgt. Dein Brief vom 28ten meldet mir nun Feste und Lustbarkeiten mit activer Theilnahme. Und so möge denn alles zum Besten gereichen! Einen merckwürdigen Besuch darf ich nicht vergessen. Herr v. Buch der Welt-Vereiser kündigte sich gleich als Ultra-Vulkanisten an, und suchte, diplomatisch genug, mich zum Gespräch zu verleiten; aber vergebens, und so ward denn mit dem ersten Geologen von Deutschland kein geologisches Wort gesprochen. Soviel für diesmal! Ich bin in die erste Etage herunter gezogen, wo ich so zierlich und bequem wohne wie vorm Jahr. Alles geht hier seinen Gang. Täglich kommen Gäste, die auch hier fehlten. Geregnet hats, kalt ists geworden. Die Wolckenzüge geben viel zu schauen. Fleißig bin ich übrigens. Grüsse alles, gedenke mein, schreibe und referire von Zeit zu Zeit.

G.

Gräfinn Line die schönsten Empfehlungen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-71B9-B