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An August von Goethe

[Concept.]

Ohne in den besondern Fall einer zu übernehmenden Bürgschaft, den du mir, mein lieber Sohn, vorlegtest, einzugehen, muß ich dir Nachstehendes zu Herzen geben.

Als mich mein seliger Vater einigermaßen ausstattete, war unter andern guten Lehren, die er mir zugleich ertheilte, eine, die einem Befehl glich, daß ich bey seinem Leben keine Bürgschaft eingehen und auch nach seinem Tode diese Warnung immer bedenken solle.

Denn sagte er: wenn du baares Geld hast, so magst du es einem Freunde auch ohne große Sicherheit leihen. Willst du es verschenken, so ist auch nichts dagegen zu sagen, borgst du, so wirst du dich einrichten Interessen zu bezahlen und das Capital abzutragen; verbürgst du dich aber, so versetzest du dich in einen unruhigen Zustand, der desto peinlicher ist, als du dich unthätig ja leidend verhalten mußt. Niemand verbürgt es leicht, außer wenn er glaubt, er laufe keine Gefahr, ist aber die Verbürgung geschehen, [165] so fühlt er sich gar bald, besondere in sorglichen Augenblicken, von einem in der Ferne sich zeigenden Übel bedroht, welches um so fürchterlicher erscheint, als er fühlt, daß er ihm nicht gewachsen sey, wenn er näher treten sollte.

Das Leben für einen Freund zu wagen wie für dich siehst, ist löblich, denn der Augenblick entscheidet; aber dir auf unbestimmte Zeit, oder wohl gar auf's ganze Leben Sorge zu bereiten, und deinen sichern Besitz wenigstens in der Einbildungskraft zu untergraben, ist keineswegs räthlich: denn unsere körperlichen Zustände und der Lauf der Dinge bereiten uns manche hypochondrische Stunde, und die Sorge ruft alsdenn alle Gespenster hervor, die ein heiterer Tag verscheucht.

So war die Gesinnung meines Vaters und so ist auch die meinige geblieben. Ich habe in meinem Leben viel, vielleicht mehr als billig, für andere gethan, und mich und die Meinigen dabey vergessen; dieß kann ich dir ohne Ruhmredigkeit sagen, da du manches weißt; aber ich habe mich nie verbürgt, und unter meinem Nachlaß findest du keinen solchen Act. Habe daher das alte Sprichwort vor Augen und gedenke mein.

Weimar den 19. September 1816.

[166]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-71F9-E