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An Friedrich Heinrich Jacobi

Ilmenau d. 5. May 86.

Dein Büchlein habe ich mit Anteil gelesen, nicht mit Freude. Es ist und bleibt eine Streitschrifft, eine Philosophische und ich habe eine solche Abneigung von allen litterarischen Händeln, daß Raphael mir einen mahlen und Shäckespear ihn dramatisiren könnte und ich würde mich kaum daran ergötzen, was alles gesagt ist. Du musstest diese Bogen schreiben, das seh ich und erwartete sie, nur hätte ich gewünscht die Species fackti wäre simpler vorgetragen, alles Leidenschafftliche dabey kann ich nicht billigen und die vielen Um und Anhänge thun auch nicht gut wenn man kämpft. Ie knapper ie besser. Du wirst sagen es ist meine Manier, ieder hat die seine! Gut ich muß es geschehen lassen.

Dann lieber Bruder, daß ich aufrichtig sey, das Strauseney will mir gar nicht gefallen. Als Wort und Rede mögt es noch hingehn wenn es nur nicht hinten noch als Siegel aufgedruckt wäre. Wenn die [212] Gegner nur halb klug sind; so machen sie auf den langhälsigen Verfasser Jagd, der in unendlicher Selbstzufriedenheit aus den Büschen heraussieht und im Schatten sich seiner Superiorität über Elstern und Raben erfreut, und sie haben das ganze Publikum auf ihrer Seite. Lieber Freund man hat Exempel daß Adler Eyer im Schoose Jupiters für einem Pferdekäfer nicht sicher waren.

Wenn Selbstgefühl sich in Verachtung andrer, auch der geringsten auslässt, muß es widrig auffallen. Ein leichtsinniger Mensch darf andre zum besten haben, erniedrigen, wegwerfen, weil er sich selbst einmal Preis giebt. Wer auf sich etwas hält scheint dem Rechte entsagt zu haben andre gering zu schätzen. Und was sind wir denn alle daß wir uns viel erheben dürfen.

Daß dir deine Edlen Infusionen so gut gerathen sind, und dir die Thiergen zu Freuden herauswachsen, gönn ich dir herzlich und ich würde dich beneiden, wenn ich in meiner Seele einen Wunsch aufkommen liese nach irgend einem Gut das mir das Schicksal versagt oder geraubt hat.

An dir ist überhaupt vieles zu beneiden! Haus, Hof und Pempelfort, Reichthum und Kinder, Schwestern und Freunde und ein langes pppp. Dagegen hat dich aber auch Gott mit der Metaphisick gestraft und dir einen Pfahl ins Fleisch gesezt, mich dagegen mit der Phisick geseegnet, damit mir es im Anschauen [213] seiner Wercke wohl werde, deren er mir nur wenige zu eigen hat geben wollen.

Übrigens bist du ein guter Mensch, daß man dein Freund seyn kann ohne deiner Meynung zu seyn, denn wie mir von einander abstehn hab ich erst recht wieder aus dem Büchlein selbst gesehn. Ich halte mich fest und fester an die Gottesverehrung des Atheisten p. 77 und überlasse euch alles was ihr Religion heisst und heissen müsst ibid. Wenn du sagst man könne an Gott nur glauben p. 101. so sage ich dir, ich halte viel aufs schauen, und wenn Spinoza von der Scientia intuitiva spricht, und sagt: Hoc cognoscendi genus procedit ab adaequata idea essentiae formalis quorundam Dei attributorum ad adaequatam cognitionem essentiae rerum; so geben mir diese wenigen Worte Muth, mein ganzes Leben der Betrachtung der Dinge zu widmen die ich reichen und von deren essentia formali ich mir eine adäquate Idee zu bilden hoffen kann, ohne mich im mindsten zu bekümmern, wie weit ich kommen werde und was mir zugeschnitten ist.

Lebe wohl. Vergieb daß ich so hingeschrieben habe wie mirs eben um's Herz war, ich bin hier so allein und schriebe wohl noch viel mehr wenn ich mich nicht scheute ein neu Blat zu nehmen. Leb wohl.

G. [214]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-720D-9