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An Carl Friedrich von Reinhard

Ihren freundlichen Brief vom 16. und 26. December will ich nicht gleich nur wenig zu sagen wüßte, so bin ich doch über die Angelegenheit jenes jungen Freundes einiges zu sagen schuldig. Ich habe solche sogleich nach Empfang Ihres werthen Briefes zur Kenntniß solcher Personen gebracht, welche auf akademische Berufungen den meisten Einfluß haben und den hohen Ernährern (Nutritoren) unserer vielfürstigen Universität überlegte Vorschläge zu thun berufen sind: denn daß gegenwärtig keine Stelle offen sey, war mir wohl bewußt; auch haben wir seit kurzer Zeit mehrere junge Männer zu diesem Fache, nach Abgang des [265] jüngeren Hufelands, berufen, welche zunächst auf Beförderung Anspruch machen.

Sonst, da die Akademie in vollem Flor war, haben es wohl junge Männer zu Dutzenden gewagt, in Jena, mit und ohne Titel, und ganz ohne Besoldung und Unterstützung sich niederzulassen und haben insofern ihre Rechnung dabey gefunden, daß sie sich ausbilden, eine Zeit lang sich einen mäßigen Lebensunterhalt verschaffen und so gar wohl erwarten konnten, entweder angestellt, oder nach außen berufen zu wer den, welches denn auch den meisten gelungen ist. Jetzt ist aber hierzu keine Zeit und würde auch einem Manne von gereister Bildung nicht einmal anstehn, versuchsweise anzutreten. Für den Augenblick also wüßt' ich keine Aussicht; ich habe jedoch die Herren, welche meine Freunde sind, gebeten, gedachten jungen Mann, der uns doch so nahe verwandt ist, nicht aus den Augen zu lassen.

Es freut mich sehr, daß auch Sie von meinem zweyten Theil Gutes gehört haben: denn ich bedarf Muth und Lust zum dritten. Jeder Theil, ja ein jedes Buch dieses Werkleins muß einen andern Charakter haben und so diesen und jenen Leser verschieden ansprechen. Ich habe dafür zu sorgen, daß ich diesen verschiedenen Eintheilungen jeder das Gehörige zutheile. Dabey schon kommt vieles auf gut Glück an; die Effecte hingegen auf den Leser sind noch zufälliger.

[266] Daß ich Boisserée etwas Freundliches erzeigen konnte, war mir sehr angenehm; ich habe es von Herzen und mit ganzer Überzeugung gethan. Sobald ich ihn und seine Bemühungen durch Ihre Vermittelung kennen lernte, hatte ich mir vorgesetzt was ich nun ausführte. Ein Enthusiasmus für einen specialen Gegenstand, wie doch auch dieser ist, findet sich sehr selten ohne Zuthat von etwas fratzenhaftem, wovor jedoch Sulpiz durch einen reinen frommen Sinn, eine wacker Weltkenntniß und überhaupt eine höhere Cultur geschützt wird. Ich erhielt in diesen Tagen einen allerliebsten Brief von ihm, der so recht von Grund aus gediegen ist.

In manchen anderen Dingen, für die Sie meine Neigung kennen, arbeite ich im Stillen fort und habe das Glück, in jedem Fache mich ebenfalls stiller Mitarbeiter zu freuen und ich hoffe noch auf manche schöne Resultate der Erfahrung wie der Theorie. Aber man muß dergleichen Dinge heimlich und heilig halten und, wenn man nicht massenhaft damit hervortreten kann, lieber davon schweigen. Es ist unglaublich was die Deutschen sich durch das Journal- und Tageblatts verzeddeln für Schaden thun: denn das Gute was dadurch gefördert wird, muß gleich vom Mittelmäßigen und Schlechten verschlungen werden. Das edelste Ganggestein das, wenn es vom Gebirge sich ablöst, gleich in Bächen und Flüssen fortgeschwemmt wird, muß wie das schlechteste abgerundet und zuletzt [267] unter Sand und Schutt vergraben werden. Ich halte mir in denen Dingen, die mich interessiren, lichte Puncte und lichte Menschenfest, das Übrige mag quirlen wie es will und kann.

Unser guter Wieland hat uns in diesen Tagen verlassen, nachdem es nur kurze Zeit sich mehr matt und schwach als krank befunden. Am dritten September ward sein achtziger Geburstag noch feyerlich begangen. Geistesruhe und Thätigkeit hielten sich bey ihm so schön das Gleichgewicht, und so hat er, mit der größten Gelassenheit und ohne das mindeste leidenschaftliche Streben, unendlich viel auf geistige Bildung der Nation gewirkt. Ich habe mir in diesen tagen sein Wesen und Thun recapitulirt; es ist höchst merkwürdig und in Deutschland einzig in seiner Art. Die Franzosen haben eher ähnliche Männer aufzuweisen.

Und nun sehn Sie mir herzlich gegrüßt unter den Lebendigen.

Weimar den 25. Januar 1813.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-724D-A