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An Charlotte von Stein

[Neunheiligen] d. 10ten März 81. früh.

Heut ist eine Fahrt nach Ebeleben ein Schwarzburgisches Lustschloss angestellt. Vorher schick ich Ihnen noch diesen Grus und Wunsch daß Ihnen recht wohl seyn möge.

Gestern hab ich gezeichnet, dann kam Besuch von Langensalza, der gröste Theil des Tags wurde weggestanden und wegdiskurirt. Wenn es nicht immer nüzlich wäre Menschen zu sehen, sie seyen von welcher Art sie wollen, so würde mich die schöne Zeit dauern. Ich habe einen Everdingen angefangen, nach meiner gewöhnlichen Art, auf schlecht Papier und nun dauert mich die Arbeit da ich ans Ausmachen komme. Die Ruhe, die Entfernung von aller gewohnten Plage thut mir gar sehr wohl, ich fühle daß ich noch immer bey mir selbst zu Hause bin, und daß ich von dem Grundstock meines Vermögens nichts zugesezt habe.

Gestern bey guter Zeit erhielt ich Ihren lieben Brief den schönen Abdruck Ihrer Seele. Ich hab ihn gleich sechsmal hintereinander gelesen und les ihn [72] immer wieder. Hoffentlich fahren Sie fort mir immer zu schreiben bis ich wiederkomme, es ist gewiß bey mir angewendet was Sie für mich thun.

Wir wollen den Grafen nicht berufen, sonst müßt ich sagen er führt sich recht gut auf. Wir haben noch keine Sekkatur auszustehn gehabt, der Herzog versichert er kenne ihn gar nicht.

In ihr ist eine Richtigkeit der Beurtheilung, ein unzerstörliches Leben und eine Güte die mir täglich neue Bewundrung und Freude machen. Sie ist dem Herzog sehr nützlich, und würde es noch mehr seyn wenn die Knoten in dem Strange seines Wesens nicht eine ruhige gleiche Aufwicklung des Fadens so sehr hinderten.

Mich wundert nun gar nicht mehr daß Fürsten meist so toll, dumm, und albern sind. Nicht leicht hat einer so gute Anlagen als der Herzog, nicht leicht hat einer so viel verständige und Gute Menschen um sich und zu Freunden als er, und doch wills nicht nach Proportion vom Flecke, und das Kind und der Fischschwanz gucken eh man sich's versieht wieder hervor. Das größte Übel hab ich auch bemerckt. So passionirt er fürs gute und rechte ist, so wirds ihm doch weniger darinne wohl als im unschicklichen, es ist ganz wunderbaar wie verständig er seyn kan, wie viel er einsieht, wieviel kennt, und doch wenn er sich etwas zu gute thun will so muß er etwas Albernes vornehmen, und wenns das Wachslichter Zerknaupeln [73] wäre. Leider sieht man daraus daß es in der tiefsten Natur steckt, und daß der Frosch fürs Wasser gemacht ist wenn er gleich auch eine Zeitlang sich auf der Erde befinden kan. Die Zeit unsrer Abfahrt rückt herbey, ich sollte schon lang geschlossen haben. Leben Sie wohl meine Beste und grüsen die guten und lieben.

Können Sie gelegentlich meine Literatur von der Herzoginn zurücknehmen; so heben Sie mir's auf. Wenn Sie mit ihr und auch Herdern drüber sprächen, wäre mir's sehr angenehm, denn ich möchte durch den Mund meiner Geliebten am liebsten hören, was sie davon sagen. Übrigens ist's in mir so still wie in einem Kästgen voll allerley Schmucks, Gelds und Papiere das in einen Brunnen versinckt. Adieu es soll alles für Sie aufgehoben seyn. grüsen Sie auch Frizzen und Ernsten. Ich muss fort.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1781. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-726B-4