47/230.

An August von Goethe

[Concept.]

[2. October 1830.]

Da ich nunmehr deinen Urlaub bis zu Ende des Jahrs durch die schnelle wirkende Gunst des Herrn v. Gersdorff Excellenz in Händen habe, so begrüße ich dich damit hoffentlich in Rom, wenn dir leidige Dämonen nicht neue hindernde Prüfungen zugedacht haben. Du kannst dir leicht denken welchen Antheil wir an deinem Unfall genommen, wir secretirten ihn, aber von Mylius wurde an den Canzler berichtet. Doch weil wir schwiegen ging es als ein Geheimniß herum und kam ich ohne Rede und Widerrede über meinen Geburtstag hinaus, den ich mit vielen Freunden um desto heiterer beging, als sowohl dein, wie Sterlings Brief, deine leidlichen Zustände berichtete.

Wer in Rom eingetreten ist, dem kann man nichts sagen. Wenn er fühlt daß er neu geboren ward, so ist ers werth und mag denn auch bey einem längeren Aufenthalt in allem Guten fortwachsen. Alles übrige würde an die Rhetorik des Polonius erinnern, eine Rolle die ich (wer kann sagen mit Recht oder Unrecht) niemals übernommen habe, die heute aber, den dritten September, gar nicht statt fände, da dein tröstlicher Brief, abgeschlossenen Spezia den 18. August, uns deine Genesung zugleich mit dem guten Gebrauch der Zeit und Umstände klar und deutlich berichtete.

[258] Heute feyern wir wie vor Alters und Geburtstag unsres alten Herrn mit der gewohnten Ausstellung, mit treuen Erinnerungen im Stillen. Mein Geburtstag ward auch sehr lebhaft begangen, ich entschloß mich hier zu bleiben; warum soll man so viel Gutem und Lieben ausweichen. Viele Gönner und Freunde, die ich vielleicht des Jahrs nur selten sehe, traten ein; auch unsre gnädigsten Herrschaften. Viele Geschenke prunkten, ein wohlgearbeiteter silberner Pokal war von Frankfurt Wohlwollenden gesendet, dahinter vier und zwanzig Flaschen Stein- und sonstigen edlen Frankenweines, von alten und neuen Jahrgängen. Prächtige Kissen, Rouleaux und dergleichen, nur zu kostbar um mit Behagen gebraucht zu werden, überdieß andere gute, wohl auch scherzhafte Dinge.

Das Kästchen von Mailand ist auch angekommen und wird nach deiner Anordnung in einem spätern Briefe eröffnet und behandelt werden.

[3. September 1830.]


[17. September 1830.]

Nun kommt zu unserer besondern Zufriedenheit dein Brief aus Florenz an, und wir freuen uns daß du das Bild dieser großen Existenz in dich ruhig aufnimmst und das herrliche Gefühl solcher Zustände sich bey dir entwickelt.

Nun kommen deine löblich fortgesetzten Tagebücher bis zum 28. August, da du denn gerühmt seyn sollst: [259] daß du diesen Tag, in so herrlicher Umgebung, anmuthig gefeyert hast.

Durch deine Beschreibungen wird mir Florenz wieder lebendig, das ich nicht so ausführlich und gründlich gesehen habe wie du; denn, auf meiner Hinfahrt, riß mich's unwiderstehlich nach Rom, und, auf der Rückreise, war ich mit Tasso beschäftigt, so daß ich, durch das innere poetische Leben, gegen diese herrliche Außenwelt mich gleichsam verdüstert fand. Es ist ein schönes glückliches Ereigniß deiner Reise, daß weder ein innerer noch äußerer Zwiespalt deine Aufmerksamkeit zerstreut, und du, obgleich unterrichtet genug, doch immer noch als ein Naturkind gegen die ungeheure Kunst stehst. Den Anblick des riesenhaften Pferdebändigers gönn ich dir, ob ich ihn gleich niemals so günstig beschauen konnte; in Rom wird er dir wieder neu und durch eine solche Vorbereitung begreiflicher werden.

Was soll ich von unsern Zuständen sagen! im Hause, bey Hof und in der Stadt kommt nichts vor als was nicht aus den Zuständen ganz folgerecht hervorginge. Im allgemeinen hat ein alberner Nachahmungstrieb überall, mehr oder weniger, Rottirungen, wilde Händel, Brennereyen hervorgebracht und die Widerwärtigkeiten gegen die Regierungen haben sich, wie in Brabant, an mehreren Orten, mit Grund und Ungrund, hervorgethan. In Leipzig haben sie Häuser gestürmt, in Dresden das Rathhaus verbrannt und die[260] Polizeyarchive zerstört. In einigen Fabrikorten sind auch dergleichen Auftritte gewesen.

In Braunschweig geschah das Absurdeste; die Feuerlustigen manövrirten neben den Kanonen vorbey, die man gegen sie aufgeführt hatte, und brannten die eine Seite des Schlosses ganz ruhig und ungestört nieder. Sie hätten auch die andere angesteckt, unterließen's aber, um die nahe gegenüberstehenden Bürgerhäuser nicht in das Hofunheil mit zu verschlingen.

Im Allgemeinen haben, nach dem Vorgange Preußens, Rußland und Österreich den König der Franzosen anerkannt und nun kommt alles darauf an, daß die Niederlande, von Holland getrennt, als zwey besondere Staaten, einem König aus dem Hause Nassau untergeben bleiben. Es ist zu hoffen daß die Nothauch hier das Nützliche und allen Theilen billig und gleichmäßig Vortheilhafte bewirken wird.

Ich schreibe diese Hauptpuncte umständlich, damit du bey allen Zeitungs-Nachrichten, bey manchen hin und wieder schweblenden Kannegießereyen, doch wissest wie es im Grund steht und, wie du bisher gethan, die dir gegönnte Zeit mit offnen Augen, Glauben und Vertrauen, auf die Außenwelt wie auf dich selbst, verharrend genießest und nützest, unbekümmert um alle Zufälligkeiten. Denke nur daß Meyer in Florenz fleißig arbeitete und studirte, als Napoleon die Stadt eingenommen, den Palast Pitti geleert und seine Abgeordneten sehr übel behandelt hatte: daß die Tribuna [261] verschont worden. Die Venus Medicis hatte man nach Sicilien geflüchtet, sie mußte aber wieder beygeschafft werden.

Was ich in deinen Schreiben vermisse ist die Nachricht daß [du] unser erstes Schreiben, welches wir gleich nach deinem Unfall abgelassen, von der Post, in Florenz, wo es zu finden war, nicht abgeholt habest. Vielleicht gibt dein nächster Brief, den wir noch abwarten wollen, davon Nachricht.

Daß die beiden Kästchen, die du abgesendet hast von Mailand und Florenz, heute, den 17. September, noch nicht angekommen sind, schreibe hier einsweilen nieder. Die Avisbriefe und Anzeigen sind angelangt, die Kästchen scheinen in Frankfurt oder sonst wo zu stocken.

Da es Platz ist, füg ich noch einige Publica hinzu: die Unruhen und Unthaten in Braunschweig und Dresden haben sich, der Legitimität unbeschadet, durch eine Veränderung des Gouvernements beruhigt. In Braunschweig hat man, nach dem Entweichen des Herzogs, seinen jüngern Bruder von Hamburg berufen. In Dresden ist Prinz Friedrich, nachdem sein Herr Vater Max auf die Succession Verzicht gethan, zum Mitregenten angenommen worden. Die Gebäude mögen sie wieder aufbauen, nach verbrannten Acten und Rechnungen wieder von vorne zu regieren anfangen.


[262] Weimar den 30. September 1830.

Vorstehendes blieb mehrere Tage liegen; deine sehr löblichen journalartigen Briefe bis Montag den 13. September sind in vollständiger Ordnung zu unsrer Freude und Zufriedenheit angelangt, und wir können nun auf eine gleich Fortsetzung hoffen.

Daß du mit Zahn zusammentriffst ist freylich ein wünschenswerther Umstand; er wußte wohl schon daß ich seine Hefte in den Wiener Jahrbüchern umständlich angezeigt habe. Nun wirst du durch ihn in Pompeji ganz und gar einheimisch werden.

Möge dir alles glücken und zu einer Einfahrt in Rom, wo unsre Gedanken dich schon suchten, diese herrlich Vorbereitung dich zum schönsten fördern; so wie wir dir Glück wünschen, nach ausgestandenem grandiosen Sturm, durch den Anblick des herrlichen Neapels erquickt worden zu seyn.

Von unsern Zuständen muß ich dir sagen was dir vielleicht schlimmer zu Ohren käme. Jenes oben gemeldete Übel ist uns immer näher gerückt. Gera, Altenburg, besonders letztes ist stark beschädigt worden. In Jena ist schon über 14 Tage unruhig, die Besseren haben das Mögliche gethan, doch mußte man zuletzt Militair hinüber schicken. Auch hier am Orte waren schon die wildesten Drohungen ausgestreut, die Personen genannt, welche man, in und mit ihren Häusern, zu beschädigen gedächte. Der Großherzog war abwesend, doch nach einigem Zaudern entschloß [263] man sich unser sämtliches Militair heranzuziehen; achthundert Mann im Ganzen. Da mit und mit sonstiger Vorsicht hoffen wir durch zu kommen. Eisenach und Ilmenau mußten durch Klugheit beschwichtigt werden. Wohl dir daß du indessen in dem herrlichen Companien hausest, obschon die großen Paraden und Revüen, von denen du Zeuge warst, auch auf dortige Vorsichsmaßregeln zu deuten scheinen.

Soviel für dießmal; in Beyliegendem empfiehlt sich die Familie.

Ottilie, treu ihren Consular- und Redactionspflichten, nicht weniger an Galatagen sich gränzenloser Hüte befleißigend, die Knaben gutartig-gesellig, fortschreitend in der Musik, wie es mit den übrigen Studien gelingt ist abzuwarten. Das Mädchen zum Bewundern gescheut, von lebhaftem Willen, sehr leicht auf einen andern Gegenstand zu lenken, deshalb ihre Gegenwart höchst anmuthig.

Weimar den 31. September 1830.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-726C-2