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An Carl Friedrich von Reinhard

Eigentlich, theuerster verehrtester Freund, bin ich auf unsern Canzler v. Müller neidisch, ja verdrießlich, [197] denn seine Viel- und Schnellthätigkeit ist schuld, daß ich weniger unmittelbar von Ihnen vernehme und auch Sie auf diese Weise weniger von mir. Da es aber doch zuletzt auf ein günstiges, mentales Zusammenseyn in der Ferne ankommt, so wollen wir ihn loben daß er, einstimmig mit dem Genius der Zeit, velociferisch zu verfahren geeignet ist.

Und wofür ich ihm vor allen Dingen zu danken habe, sind unausgesetzte Nachrichten von Ihrem Wohlbefinden, von der Zufriedenheit in Ihrem neuen wünscheswerthen Zustand. Ich habe Sie, theuerstes Paar, in der Kronenburger Einsamkeit besucht, bin Ihnen nach Frankreich gefolgt und habe Sie nunmehr wohlbehalten zurückgebracht. Vor einigen Tagen sendeten Freunde mir illuminirte Frankfurter Prospectblättchen. Die Aussicht nach dem Untermaynthor ist gar zu reizend, der Weg deutet nach des Freundes Wohnung und ich glaubte über den Bäumen draußen die Kuppel des Belvederes zu erblicken, wo er einer so einzigen Aussicht in bester Gesellschaft genießt.

Um von mir zu reden: ich bin kaum aus dem Hause, kaum aus meinem Zimmer gekommen; im Verlaufe des vergangenen Jahrs hat mich die Privilegien-Angelegenheit durchaus im Athem erhalten, sie ist aber auch nunmehr so gut wie abgeschlossen. Immer genug für die Wege, die sie innerhalb der Bundesstaaten zu machen hatte. Herr Graf Beust, dem ich mich bestens zu empfehlen bitte, wird auf [198] Anfrage wohl das Weitere zu vermelden die Gefälligkeit haben.

Der Verlag meiner Werke scheint sich auch zu entscheiden, und so könnte ich denn das nächste Jahr zu einer wünschenswerthen Arbeit gelangen. Die Wiederaufnahme meiner früheren Arbeiten, die Redaction der späteren, die Ausfüllung des Lückenhaften, die Sammlung des Zerstreuten, und was sonst noch vorzunehmen wäre, sind freylich angenehme Beschäftigungen, denn sie deuten denn doch zuletzt auf eine gewisse Einheit hin, wodurch das Unternehmen sehr erleichtert wird; nur darf ich nicht überdenken was noch zu thun ist, sondern ich muß mir zur Pflicht machen, nur das Nothwendige vorzunehmen und vom Geschick abwarten, wie weit ich kommen soll, wobey denn die Hauptsorge bleibt, alles so zu stellen, daß das Geschäft auch allenfalls ohne mich seinen Gang fortgehe.

Unsere Fest- und Feyertage, wahrhaft schön, freudig und ehrenvoll, sind Ihnen durch unsern Freund hinlänglich bekannt geworden. Ihr Segenswort aus der Ferne kam mir eben recht liebevoll zu statten.

In so seltenem, ja einigem Fall nimmt man sich über seine Kräfte zusammen, um nur einigermaßen dem Augenblick gewachsen zu erscheinen; hinterdrein fühlt man denn aber doch, daß ein solches Übermaaß von Kräftenaufwand eine gewisse nachlassende Schwäche zur Folge hat.

[199] Von den sonst üblichen, wenigstens halbjährigen Heften ist nichts zum Druck gefördert worden, obgleich davon Manuscript auch vorliegt. In naturwissenschaftlichen Dingen fährt die Witterungskunde fort, mich zu beschäftigen; ich suche meine Vorstellungen in einen Aufsatz zusammenzufassen, als ein Zeugniß wie diese Angelegenheit sich in meinem Kopfe gebildet hat. Ob die Natur mein Denken anerkennen will, muß abgewartet werden. Träfen wir jetzt, wie vor so vielen Jahren in Carlsbad zusammen, so würden Sie, wie damals mit der Chromatik, so jetzt mit der Meteorik geplagt seyn. Mich unterhält sie statt eines Schachspiels, ich ziehe mit meinen Steinen vorwärts gegen die Natur und suche sie aus dem geheimnißvollen Hinterhalt in die Klarheit des Kampfplatzes zu locken. Mit- und Übereindenkende erwart ich nicht so leicht, unvergessen eines alten großen Wortes: Et mundum tradidit disputationi corum, Cohelet III. 11.

Von Kunstwerken mancher Art habe zwar Weniges, aber Vorzügliches erhalten: einen Abguß der Medusa Rondanini danke ich einem Versprechen des Kronprinzen von Baiern, welches nun Königlich zur Erfüllung gekommen.

Eine große sorgfältige Zeichnung von Julius Roman, mit vielen Figuren, zum größten Theil wohl erhalten, ist eine köstliche Acquisition, ohne Zweifel das Original, das Diana von Mantua in Kupfer gestochen hat. Christus, vor der schönen Thüre [200] des Tempels, nach Raphaels Vorgang, mit gewundenen Säulen geschmückt. Er beruhigt warnend die neben ihm aufrecht stehende beschämte Ehebrecherin, indem zugleich die pharisäischen Susannenbrüder durch ein treffendes Wort in die Flucht schlägt. Sie entfliehen so kunstgemäß-tumultuarisch so symmetrisch verworren, daß es eine Lust ist. Sie stolpern über die Bettler, denen sonst ihre Heucheley zu Gute kam und die für dießmal unbeschenkt auf den Stufen liegen. Der Federumriß ist von der größten Nettigkeit und Leichtigkeit und fügt sich dem vollkommensten Ausdruck. Das Kupfer davon ist gewiß in der Städelischen Sammlung. Sollten Sie solche einmal besuchen, so fragen Sie danach und gedenken mein dabey. Bartsch peintre graveur Vol XV. S. 434, Oeuvre der Diane Ghisi Nr. 4. Wird für eine der schönsten und wichtigsten Arbeiten genannter Künstlerin gehalten.

Einiger Majolika-Teller will ich auch noch erwähnen, die sehr geistreich und verständig gemalt sind. In der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts gab es Talente zu Scharren, Mauern und Wände waren bemalt, und nun suchte sich eine geschäftige Kunst die beweglichen Räume der Tafel- und Büfetgeschirre zu ihrem Schauplatz.

Was für einen Kunstwerth man auch diesen Denkmalen einer nicht wiederkehrenden Zeit zugestehen mag, sie geben einen eigenen Eindruck. Es manifestirt [201] sich hier ein heiterer Genius, der sich in Formen und Gestalten mit Beyhülfe der Elementar-Farben leicht und lustig zu verkörpern wußte.

Soll ich nun von diesen Nachbildungen des Lebens zum Lebendigen selbst übergehen, so habe ich zu sagen, daß die Meinigen wenn auch nicht von der robustesten Art, doch im Ganzen wohl sind. Mein Sohn widmet sich nach wie vor den Geschäften, versieht meinen Haushalt und lebt übrigens ein geselliges Hof- und Stadtleben; der Frauenzimmer eigentlichstes Geschäft ist die englische Sprache, begünstigt durch angenehme unterrichtete Personen dieser Nation. Und was sonst Hof und Geselligkeit übrig lassen, verzehrt die Sorge für Weyhnachts- und Geburtstags-Geschenke, denen alle Arten Stickerey gewidmet sind. Der älteste Enkel, durch Leben und Lernen aus dem Kreise großväterlicher Liebe hinausgeführt, läßt mir den kleinen zurück, den zierlichen Pathen, der mir immer liebenswürdiger erscheint, je mehr er sich in meiner Nähe gefällt.

Nun aber, da ich mich an stillen Abenden mit diesen Blättern beschäftige und mich im Andenken an einen so hochverehrten Freund sanft in den Schlaf wiege, trifft uns der unerwartete Schlag aus Osten und zwar um so schrecklicher, als die wenigen Monate seit der Rückkehr der jungen Herrschaften die sämmtlichen mannichfaltigen Persönlichkeiten unsres hohen Familienkreises sich in den glücklichsten Verhältnissen [202] befanden und wirklich aussprechen dürften, daß sie glücklich seyen. Mehr darf ich nicht sagen, denn hier liegt ein Abgrund, an dem man sich nicht aufhalten darf und der immer weiter klafft, je weiter man in die Welt hinaussieht.

Und so nöthigt mich nun der letzte Blattraum düster zu schließen, da ich heiter begonnen habe, doch will ich zugleich, im Gegensatze mit jenem Tadel unsres gemeinsamen Freundes, endigen, mit seinem Lobe; denn er hat viel und überviel zu der Feyer unserer Feste, besonders auch des meinigen beygetragen und er ist's der mir in stetiger Folge, von Ihrem Zustande, Ihrem Glück und fortwährender Neigung höchst erfreuliche Kunde gibt. Möge dieß alles bleiben so fortan bis dem Genius gefällt, auch so schöne Bande zu lösen.

unwandelbar

Weimar den 26. December 1825.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-72B4-D