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An Johann Heinrich Meyer

Sehr ungern hab ich, theuerster Freund, Ihre vertrauliche Unterhaltung vermißt und wünsche sie so bald als möglich; damit denn aber aller Zwang von einem solchen freundlichen Zusammenkommen entfernt werde, so könnten Sie jeden Tag, wenn es Ihnen beliebte und sich's gerade machen ließe, auch ohnangemeldet zu mir herüberfahren. In meinen Arbeiten hab ich jetzt eine solche Versatilität, daß täglich und stündlich etwas anderes vorgenommen werden kann.

[80] Die Kiste mit Kupferstichen von Frankfurt ist angekommen, alles zusammen kostet nur 8 Carolinen, welches verhältnißmäßig ein sehr leidlicher Preis ist. Nur haben die Freunde versäumt, mir das besondere Verzeichniß, was jede Nummer kostet, mitzuschicken, welches ich mir von dorther jetzt erbitte, damit wir die beiderseitigen Bestellungen sondern können. Haben Sie noch das Verzeichniß Ihres Auftrags, so schicken Sie mir's, weil ich mich des meinen nicht mehr erinnere.

Sehr glücklich macht mich der Triumphzug des Mantegna. So oft ich ihn im Leben sah, hab ich ihn bewundert; wie man aber bisher ohne ihn leben konnte, begreif ich nicht recht. Dennoch ist es immer schön genug, daß uns solche Schätze für spätere Jahre aufbewahrt sind. Die Abdrücke sind noch sehr respectabel, wenn auch nicht von den ersten, wohlerhalten, unbeschädigt und so eine sehr schöne Erwerbung.

Dieser Festzug war in Mantua prope D. Sebastiani aedes in majori ejus aula, also in einem inneren Klosterhofe gemahlt; ist noch irgend etwas davon übrig?

Sehr schön ist auch die Kreuzabnahme nach Tintorett von Augustin Carrache, der Abdruck alt, unbeschädigt, obgleich verbräunt und mit kleinen Modeflecken. Auch dieses Werk setzt in Erstaunen, durch die Leichtigkeit, wie darin die ganze mahlerische Technik angewendet ist.

[81] Höchst erfreulich sind auch drey Blätter von Podesta nach Titian, wovon zwey buchstäblich Philostratische Gemälde vorstellen; freylich nicht im griechischen, aber im vollkommensten Titianischen Sinne. Die Entdeckung solcher Schätze macht immer glücklich; gemahlt müssen sie vom höchsten Werthe seyn. Ist Ihnen etwas hievon zu Gesicht gekommen? Es ist Bacchus und Ariadne, und die Spiele der Liebesgötter. Letzteres erscheint auf die wundersamste Weise wie ein Fleischklumpen in der Landschaft; die Genien, die im Griechischen mochten abgesondert wie Staffage im Bilde zerstreut seyn, sind hier alle hinter und über einander gehäuft, so daß man sie kaum entziffern kann. Was mögen da für Tinten die kleinen Lieder abgestuft und aus einander gesetzt haben. So mancherley giebt's zu besprechen. Kommen Sie bald.

Jena den 30. Juni 1820.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-72BD-C