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An Friedrich Schiller

Es ist mir dabei ganz wohl zu Muthe, daß wir zum Neuenjahre einander so nahe sind, ich wünsche nur daß wir uns bald wieder sehen und einige Zeit in der Continuation zusammen leben. Ich möchte Ihnen manche Sachen mitteilen und vertrauen, damit eine gewisse Epoche meines Denkens und Dichtens schneller zur Reife komme.

Ich freue mich sehr darauf etwas von Ihrem Wallenstein zu sehen, weil mir auch dadurch eine neue Theilnahme an Ihrem Wesen möglich wird. Ich wünsche nichts mehr als daß Sie ihn dies Jahr vollbringen mögen.

Schon künftigen Sonntag gedachte ich zu Ihnen zu kommen, es scheint sich aber ein neues Hinderniß dazwischen zu stellen, auf den Sonnabend werde ich mehr sagen können. Sie erhalten alsdann auch eine Abschrift eines alten Gesprächs zwischen einem Chinesischem Gelehrten und einem Jesuiten, in welchem jener sich als ein schaffender Idealist, dieser als ein völliger Reinholdianer zeigt. Dieser Fund hat mich unglaublich amüsiert und mir eine gute Idee von dem Scharfsinn der Chineser gegeben.

Das Buch von Retif habe ich noch nicht gesehen, ich will es zu erhalten suchen.

[4] Wenn uns als Dichtern, wie den Taschenspielern, daran gelegen sein müßte daß niemand die Art, wie ein Kunststückchen hervorgebracht wird, einsehen dürfte; so hätten wir freylich gewonnnen Spiel, so wie jeder, der das Publikum zum besten haben mag, indem er mit dem Strome schwimmt, auf Glück rechnen kann. In Hermann und Dorothea habe ich, was das Material betrifft, den Deutschen ihren Willen gethan und nun sind sie äußerst zufrieden. Ich überlege jetzt ob man nicht auf eben diesem Wege ein dramatisches Stück schreiben könnte? das auf allen Theatern gespielt werden müßte und das jedermann für fürtrefflich erklärte, ohne daß es der Autor selbst dafür zu halten brauchte.

Dieses und so vieles andere muß bis zu unserer Zusammenkunft verschoben bleiben. Wie sehr wünschte ich daß Sie in diesen Tagen bey uns wären, um eine der größten Unformen der organischen Natur, den Elephanten, und die anmuthigste der Kunstgestalten, die Florentinische Madonna des Raphaels, in Einer Stunde und also gleichsam nebeneinander zu sehen.

Schellings Ideen zu einer Philosophie der Natur bringe ich mit, es wird uns Anlaß zu mancher Unterhaltung geben.

Leben Sie recht wohl, und grüßen mir Ihre liebe Frau recht vielmals.

Friedrich Schlegel hat in ein Stück des Lyceums, da das Journal in Berlin gedruckt wird, wo er sich[5] jetzt befindet, als es an Manuscript fehlte, ohne Reichardts Vorwissen, eine tollen Aufsatz einrücken lassen, worin er auch Voß angreift und worüber sich dann die edlen Freunde brouillirten.

Weimar am 3. Januar 1798.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1798. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-72FA-4