7/2221.

An Philipp Christoph Kayser

Aus dem vorigen sehen Sie inwiefern ich wagen darf über den Theil Ihrer Arbeit zu urtheilenden ich so unvollkommen kenne. Und gewiß es ist innre[142] Überzeugung wenn ich neuerdings erst ein Kunstwerck zu mir sprechen und es gleichsam ausreden lasse. Eine originelle Arbeit muß sich erst selbst den Weeg zu Aug, Ohr und Herzen bahnen den sie gehn will, wenn man sie und sich übereilt, kommt man in Gefahr in Beyfall oder Tadel zu straucheln.

Neulich ward die Entführung aus dem Serail, componirt von Mozart gegeben. Jedermann erklärte sich für die Musick. Das erstemal spielten sie es mittelmäsig, der Text selbst ist sehr schlecht und auch die Musick wollte mir nicht ein. Das zweytemal wurde es schlecht gespielt und ich ging gar heraus. Doch das Stück erhielt sich und iedermann lobte die Musick. Als sie es zum fünftenmal gaben, ging ich wieder hinein. Sie agirten und sangen besser als iemals, ich abstrahirte vom Text und begreiffe nun die Differenz meines Urtheils und des Eindrucks aufs Publikum und weis woran ich bin.

Über Ihren zweiten Ackt ist nur Eine Stimme, man wünscht nichts anders und nichts bessers. Mögten Sie hören was Herder darüber sagt, der mir unter allen nahen Musickfreunden der wertheste und zuverlässigste ist, auch verschaff ich Ihnen seine Gedancken schrifftlich wenn er einst das Ganze gehört hat. Er kann Ihnen mehr sagen als ich, er ist eine musicalischere Natur als ich.

Der erste Ackt ist ihm und andern problematischer, er hat ihn aber auch nur einmal gehört.

[143] Lassen Sie mich über den ersten Ackt ausführlicher seyn, ob ich gleich dieses alles lieber bis zuletzt wenn alles fertig aufgeschoben hätte, um Sie in Ihrem Auffluge nicht durch Rückblicke zu irren. Da Sie aber mein Zurückhalten übler deuten; so sag ich meine Meynung.

Der erste Ackt ist wie Sie ihn ganz recht benennen Prolog, ich habe ihn soviel mir möglich war in Acktion gebracht, Sie sind dieser Handlung bescheiden gefolgt, Sie haben ihn wie Sie sagen, und mich dünckt mit recht, leicht behandelt, er soll nur gefällig, leicht, vorübergehend, unterrichtend seyn. Ich für meine Person bin auch überzeugt daß er im Ganzen gut und zweckmäsig ist, und daß er an Ort und Stelle den rechten Effeckt thun wird. Lassen Sie eine gefallende Actrice ihre Waaren ausbieten, mit Eifer die Exposition vortragen, drohen pp. Scapin mit ächter Laune vom Krüpel zum lüsternen Ehmann, vom Krüpel zum Docktor übergehn, sein Abentheuer nicht erzählen sondern agiren, die Beschreibung der Stube und der Gestelle recht bedencklich machen und das fröhlige Duettgen dieses Vorspiel krönen, ich müsste das Theater nicht kennen wenn es nicht Effeckt machte, Ihre Musick nicht Effeckt machte, eben weil sie hier nichts will, sondern nur den Geschmack, die Laune, das Geschicke der schelmischen Ehleute begleitet. Von der Arie Arm und elend finden Sie in der Beylage mehr.

[144] Alle diese Würckung wird aber in Camera sehr geschwächt, wo man kommt um zu hören. Wo man nicht schaut pp. Dazu kommt noch mein detestabler Scapin und daß die Steinhart nicht ganz bequem die Höhe erreicht, so mäsig sie auch ist.

Herder hat sich deswegen den ersten Ackt noch einmal verlangt und ich werde ihn nächstens wiederholen.

Wieland den ich bey solchen Proben nicht gerne sähe, kam zufällig dazu. Der erste Ackt wollte ihm nicht zu Halse. Beym zweiten kam er ohne daß ein Mensch ein Wort sagte so zurück, daß er ganz und gar aufs höchste davon eingenommen ward. Auch von ihm sollen Sie wenn das Werck fertig ist ein schrifftlich Wort haben.

Sonst hat niemand bedeutendes ausser Herrn v. Einsiedel die Musick gehört, auch er fand wie ich den ersten Ackt gefällig und angenehm, wenn auch in einem andern Geschmack wie den zweyten den er höchlich preist.

Die Musici gelten bey mir am wenigsten. Es ist nichts beschränckter als ein mittelmäsiger Artiste. Besonders ein Musicus der nur ausführen sollte und verführt wird selbst zu komponiren, doch sind sie das nächste Publikum und nicht zu verachten.

Mögte ich doch durch alles dieses Sie beruhigt und Sie näher zu mir herüber gebracht haben. Da wir mehr mit einander arbeiten werden, ist mir sehr daran gelegen daß es mit Freyheit des Gemüths und offner Übereinstimmung geschehe.

[145] Noch eins, ich sehe aus Ihrem Briefe wie auch aus einigen vorigen, daß Sie manches allgemeine was ich einmische auf Ihre Arbeit anwenden und es als Wincke ansehen die ich geben will. Ich erkläre aber feyerlich hiermit für immer daß ich, was ich allgemein sage, nicht auf Ihre Arbeit angewendet haben will, wenn ich etwas darüber zu sagen habe, versprech ich es grade zu sagen.

So weis ich zum Exempel nicht bey welcher Gelegenheit ich von Übereilung der Handlung gesprochen habe. In Ihrer Composition ist mir nichts zu geschwind noch zu langsam, das einzige Duett: Aus dem Becher, gefällt mir am besten wenn ich es Andante grazioso vortragen lasse. Das Pedantisch einladende des Docktors, Scapinens danckbare Weigerungen nehmen sich mir da am besten aus. Auch liebt man das Duett so sehr daß man sich gerne dabey, verweilt.

Das Terzett macht grosen Effeckt und wird noch grösern machen, wenn die Handlung, das durcheinanderrennen, stille stehn, pausiren, aushaltender Gebärden dazukommt. Morgen werde ich endlich das Ganze zusammenhören. Ein gutes Waldhorn kommt wie gerufen aus Paris.

d. 22. Dez. 85.

Nachdem ich ausführlich genug gewesen, fange ich doch noch ein neues Blatt an.

[146] Seyn Sie nun auch so bald als möglich mir mit Ihren Anmerckungen zur Hand das Lyrische Drama selbst betreffend. Denn ich arbeite immer fort und ie eher Sie mir Ihre Ideen mittheilen desto eher kann ich sie nutzen.

Sie sehen an unserm Stücke wo ich hinaus will. Sie können wenn Sie es mit Erwin, mit Claudinen zusammenhalten sehen und urtheilen, wie ich zugeruckt bin und wie ich über diese Art Kunstwercke dencke.

Auch bey diesem letzten habe ich wieder gelernt, und ich wünschte sehr von Ihnen auch hierüber zu hören. Ich habe schon wieder eine neue zu sieben Personen angefangen, also thun Sie bald dazu eh ich fort fahre. In dieser werde ich auch für die Rührung sorgen, welche die Darstellung der Zärtlichkeit soleicht erregt und wornach das gemeine Publicum so sehr sich sehnt. Es ist auch natürlich ieder Lasse und Lässin sind einmal zärtlich gewesen und an diesen Saiten ist leicht klimpern, um höhere Leidenschafften und Geist, Laune, Geschmack mit zu empfinden muß man ihrer auch fähig seyn, sie auch besitzen.

Meine sieben Personen und ihr Wesen durch einander unterhalten mich manchmal besonders wenn ich zu Pferde Tagereisen machen muß und unterweegs nichts klügers zu dencken habe. Einigen geschmackvollen Personen habe ich den Plan vorgelegt und ich kann Beyfall hoffen. Ietzt da ich Ihre Probe habe macht mir das Lyrische Theater mehr Muth.

[147] Könnte ich nur um Ihrentwillen meine Sprache zur Italiänischen umschaffen, damit ich Sie schneller in's grose Publicum brächte. Indessen was nicht zu ändern ist! Behalten Sie nur guten Muth und seyn Sie überzeugt daß Sie mir grose Freude machen.

Mich vergnügt sehr daß Sie Frau Schulthes wie sie mir schreibt Theil an unserm Wercke nehmen lassen. Ich habe es heimlich gewünscht doch sagte ich nichts davon weil ich Ihr Verhältniß zu ihr nicht kannte. Grüsen Sie die liebe Frau, sie wird ein Briefgen vom 4. Dez. von mir erhalten haben.

Ich muß schliesen und siegeln. Heut Abend ist Probe. Hierbey kommt die Verbesserung einiger Stellen im 4ten Ackte. Über die Arie arm und elend nächstens ich will sie heute noch einmal hören. Adieu. Schreiben Sie mir balde.

Weimar d. 23. Dez. 1785.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1785. An Philipp Christoph Kayser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-731C-0