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An Charlotte von Stein

d. 13. Nov. 79.

Auf dem Gotthart bey den Capuzinern.

Glücklich durch eine Kette Merckwürdiger Gegenden [119] sind wir hier angekommen, was ich seit Genf aufgezeichnet will ich Philippen sobald ich ihn wieder treffe dicktiren. Hier ist der Herzog mit mir allein, und dem Jäger. Auf dem Gipfel unsrer Reise. Bis Genf gings von Ihnen weg, bisher sind wir in der Queer ziemlich gleich weit weggeblieben, und von Morgen an geht ieder Schritt wieder zurück. Zum zweitenmal bin ich nun in dieser Stube, auf dieser Höhe, ich sage nicht mit was für Gedancken. Auch iezt reizt mich Italien nicht. Dass dem Herzog diese Reise nichts nüzzen würde iezzo, dass es nicht gut wäre länger von Hause zu bleiben, dass ich Euch wiedersehen werde, alles wendet mein Auge zum zweitenmal vom gelobten Lande ab, ohne das zu sehen ich hoffentlich nicht sterben werde, und führt meinen Geist wieder nach meinem armen Dache, wo ich vergnügter als iemals Euch an meinem Camin haben, und einen guten Braten auftischen werde. Dabey sollen die Erzählungen die Abende kurz machen von braven Unternehmungen, Entschlüssen, Freuden und Beschweerden.

Im Kurzen nur! Von Genf haben wir die Savoyer Eisgebürge durchstrichen sind von da ins Wallis gefallen, haben dieses die ganze Länge hinauf durchzogen und endlich über die Furcke auf den Gotthart gekommen. Es ist diese Lienie auf dem Papier geschwind mit dem Finger gefahren, der Reichthum von Gegenständen aber unbeschreiblich, und das Glück in dieser Jahrszeit seinen Plan rein durchzuführen über[120] allen Preis. Hier oben ist alles Schnee. seit gestern früh 11 Uhr haben wir keinen Baum gesehen. Es ist grimmig kalt, Himmel und Wolcken Rein wie Saphir und Crystall. Der neu Mond ist untergangen mit seltsamen Lichte auf dem Schnee. Wir stecken im Hause beym Ofen. Morgen steht uns nun der herrliche Weeg den Gotthart hinab noch vor. Doch sind wir schon durch so vieles grose durchgegangen dass wir wie Leviathane sind die den Strom trincken und sein nicht achten. Mehr oder weniger versteht sich. Gute Nacht. Diesen Brief geb ich auf die nächste Post die ich treffe. Wenn Sie ihn erhalten bin ich schon viel näher. Adieu bestes.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7367-4