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An Christiane von Goethe

Ausführliche Relation
der Reise von Jena nach Carlsbad.
Donnerstag den 30. April.

Früh halb 6 Uhr von Jena, beym schönsten Wetter, die Nebel sanken und stiegen, der Himmel überzog sich nach und nach, im Orlathale war es drückend heiß. Um ein Uhr langten wir in Pobelwitz an, es donnerte von fern. Gegen 2 Uhr begann ein sehr starker allgemeiner Landregen der 3/4 Stunden dauerte; hernach regnete es ab. Um 4 Uhr aufgebrochen, der Himmel war noch ganz bedeckt; das Wetter schien sich wieder zu setzen. Der Regen hatte sich bis Schleiz erstreckt, wo wir ein Vierthel auf 9 Uhr ankamen.


Freytag den 1. May.


Früh halb 8 Uhr von Schleiz ab. Sehr schöner Morgen. Gegen 11 Uhr nach Gfäll. Nach halb 12 Uhr wieder von da weg. Gewitterregen aber ohne Donner. Artiger Mauthinspector zu Töpen. – Um 3 Uhr in Hof angelangt und im Hirsche eingekehrt. – Promenade auf die Höhe über Hof, wo wir die Stadt übersahen,[1] die sich zertheilenden Gewitterwolken betrachteten, mit einem sehenden Mädchen uns unterhielten und um 6 Uhr in den Gasthof zurückkehrten. Das Wetter klärte sich vor Sonnenuntergang völlig auf, so, das der Himmel fast ganz rein ward. – Hübsche Lage des Gasthofs zum Hirsch auf der Höhe vor dem Oberthor, große Lebendigkeit, hübsche Mädchen, muntere Kinder, viel Beweglichkeit, Italienische Truppen, bey der günstigen Witterung alles mit Ackern und Säen auf den umliegenden Feldern beschäftigt. Die Truppen hatten dunkelbraun und gelb. – Der vielen Fuhren nicht zu vergessen, die uns, schwer beladen, theils entgegenkamen, theils in Hof an uns vorbey fuhren. Unzählige Kinderkütschgen. – Durchaus Wohlhäbigkeit.


Sonnabend den 2. May.


Halb 5 Uhr aufgestanden; Nebel über der ganzen Gegend, doch helle in Zenith, man sah den Mond. Die schon längst aufgegangene Sonne erschien endlich, als Mond, ohne Strahlen; der Rauch der Öffen stieg gerade in die Höhe, die Nebel sanken immer mehr. 150 Wagen, jeder mit zwei Ochsen bespannt, zogen vorbey; die Wagen, wie man sie in Italien sieht, die Räder und Gestelle schwer und alterthümlich; oben waren Bretterkasten, groß, aber flach aufgesetzt; die Ochsen graulich, falb, gesprenkelt; mehrere wurden lahm nebenher geführt und ihr Mangel, an den letzten Wagen, durch Vorspanne ersetzt. es waren auch Feldschmieden [2] dabey; das ganze wurde von den braunen Soldaten escortirt. – Dreyvierthel auf 6 Uhr abgefahren; nach und nach reinigte sich der Himmel ganz, die sämmtlichen, leicht zu übersehenden Bergäcker waren mit eifrig Pflügenden und Säenden belebt; der helle Sonnenschein gar erfreulich; der Weg von sehr verschiedener Art, aber nicht schlimmer, als er bey trockener Jahreszeit seyn würde.

Zu Neuhaus gefüttert; Einiges gezeichnet. Die Straße war frequenter an Wanderern, als sie sonst zu seyn pflegt; die Vögeln sangen in den Fichtenwäldern, und alles war gutes Muths. Der Anblick ins Eger Thal war herrlich, die ganze Gegend, bis auf die entferntesten Gebirge, nach Carlsbad zu, konnte man deutlich sehen; so war auch, bey reinem Himmel, alles Übrige klar. In Franzensbrunn, wo wir halb 5 Uhr anlangten, fanden wir die Kastanienknospen aufgebrochen, ingleichen die Lerchenbäume, und mußten die Einsicht, und die Sorgfalt loben, mit der man einen Canal, von der Brücke an, diagonal durch Ried gezogen, und dadurch dem Wasser einen sehr schnellen Ablauf verschafft hat; man sieht dessen nur sehr wenig noch auf dieser großen Fläche. Das Dampfbad ist auch mit einem Häußchen überbaut, und, gleich neben dem Badebrunnen, noch eine stärkere Quelle weiter gefasst, die höher gespannt ist, durch eine Röhre abläuft, so das man die Gefäße bequemer füllen kann. An den Wegen von Hof bis hierher [3] ist wenig oder nichts gebessert, einige haben sich sehr verschlimmert, wie der von Neuhauß auf Asch. Dieser Ort ist noch der abscheulichste in der ganzen Christenheit. Auf der Seite von Franzensbrunn nach dem Lande zu macht man große Anstalten zum Bauen, wahrscheinlich haben die ungeheueren Miethen, vom vorigen Jahr, den Egeranern Lust gemacht. Die Luft ist vollkommen rein und klar und mild.


Sonntag den 3. May.


Gleichfalls der klarste und schönste Tag, wir fuhren um 6 Uhr weg, hielten einen Augenblick in Mariakulm an, fuhren vergnügt weiter fort, wozu einige Späße des Kutschers nicht wenig beytrugen. Um 3 Uhr waren wir in Carlsbad; unsere Frau Wirthin, die nach Dallwitz gehen wollte, begegnete uns unsern der Egerbrücke; in dem engen Thale von Carlsbad war es wirklich heiß, und nun, da wir in der oberen Etage wohnen, glüht uns das Schindeldach der drey Lerchen wirklich an, wenn wir zum Fenster sehen. Es wäre ein völliger Juli, wenn die dürren Bäume uns nicht erinnerten, wie früh es noch ist. Nun lebt wohl, in acht Tage schreiben wir ein Mehreres. Carlsbad den 3. May 1812.

G. [4]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-73E1-1