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An Johann Friedrich Cotta
[2. December.]
Da mir bisher alles so glücklich gegangen ist, so sah ich den Verlust der ersten Lieferung auf Berlin als eine kleine Revanche an, die das Geschick an mir nehmen wollen, indem der Fall mir wie Ihnen sehr unangenehm war. Doch ließ ich nach Ihrer letzten positiven Antwort nochmals alles durchsuchen und sie fanden sich wirklich. Es möchte mir nun beynahe wie dem Polykrates bange werden; doch hoffe ich es soll nichts zu sagen haben, da mein Zustand nicht auf Tyranney gegründet ist.
Von so vielen Freunden, und vorzüglich von Ihnen, war ich überzeugt daß Sie lebhaften Antheil nehmen würden an dem, was mir Gutes widerfahren, und ich will gerne gestehen, daß mir in meinem Leben nichts Höheres und Erfreulicheres begegnen konnte, als vor dem französischen Kaiser und zwar auf eine solche Weise zu stehen.
Ohne mich auf das Detail der Unterredung einzulassen, so kann ich sagen, daß mich noch niemals ein Höherer dergestalt aufgenommen, indem er mit besonderem Zutrauen mich, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, gleichsam gelten ließ, und nicht undeutlich ausdruckte, daß mein Wesen ihm gemäß sey; wie er mich denn auch mit besondrer Gewogenheit [225] entließ, und das zweytemal in Weimar die Unterhaltung in gleichem Sinne fortsetzte, so daß ich in diesen seltsamen Zeitläuften wenigstens die persönliche Beruhigung habe, daß wo ich ihm auch irgend wieder begegne, ich ihn als meinen freundlichen und gnädigen Herrn finden werde. Wie werth muß mir in dieser Betrachtung das hinterlassene Zeichen seyn, und wie höchst vergnüglich das demselben zugefügte Russische: denn wer möchte nicht gern ein Denkmal jener wichtigen Epoche besitzen, ein Zeichen der Vereinigung zweyer so großen als entfernten Mächte, wenn es auch weniger schmeichelhaft wäre. Daß alle litterarischen Arbeiten zugleich mit allen andern Geschäften durch diese Begebenheiten unterbrochen worden ist leider zu vermuthen. Ich versuche dieses und jenes wieder anzuknüpfen; noch aber will es nicht fließen. So ist indeß von der Farbenlehre leider nur ein Bogen zu Stande gekommen.
An Ausarbeitung anderer in Carlsbad vorbereiteter fürs Publicum vielleicht mehr erfreulicher Arbeiten ließ sich bis jetzt gar nicht denken. Indessen wird eins nach dem andern, wenigstens im Geiste, vorgeschoben.
Daß noch einige Berlin-Exemplare für mich auf dem Wege sind, ist mir sehr angenehm. Auch wünschte ich zwey Exemplare auf Schweizerpapier, die mit der letzten Sendung ankamen, und an welchen die vier ersten Theile fehlen, completirt. Wie ich denn wünsche [226] daß Sie die Gefälligkeit hätten mir anzuzeigen, um welchen Preis Sie mir ein Exemplar von den geringsten bis zu den besten überlassen möchten, auch mir Ihre Commissionärs anzeigten, von welchen ich sie verlangen könnte. Meine Verhältnisse gehen ohne mein Zuthun immer mehr ins Breite. Ich werde so vielen Menschen Dank schuldig und weiß für so viele Dienstleistungen und Gefälligkeiten oft nicht was ich erwidern soll. Ich würde daher mit Exemplaren meiner Werke manches gut machen und abthun können, ohne Ihnen zur Last zu fallen. Betrachten Sie mich in diesem Falle als einen Handelsfreund und notiren mir dergleichen Exemplare ohne weiteres ins debet; ich werde sie mir auch aufzeichnen.
Diese Tage ist bey uns eine höchst merkwürdige Erscheinung vorübergegangen. Mr. Lemarquand, an dem wir schon, als er französischer Commissär in Erfurt war, einen uneigennützigen, ehrliebenden und geistreichen Mann kennen lernen, hat sich die letzte Zeit in Berlin aufgehalten und ohne sonderliche Kenntniß des Deutschen sich an den Faust dergestalt attachirt, daß er mir ihn theilweise, das Buch vor sich habend, sehr frey und anmuthig in Prosa übersetzte. Die dunklen Stellen fühlt und kennt er auch alle und hat über manche Erklärung verlangt und erhalten. Einige Stellen hatte er schon poetisch übersetzt, sehr heiter und glücklich. Ich kannte schon früher kleinere poetische Sachen von ihm die sehr [227] gelenk und elegant sind. Den Sinn des ganzen sowohl als der einzelnen Charaktere und Situationen hat er vollkommen durchdrungen. Ich wünschte mir viel solche deutsche Leser. Nun arbeitet er das Einzelne durch und will nicht ruhen bis er das Ganze zu einer genießbaren französischen Production umgearbeitet hat. Er wird während seiner Arbeit mit uns beständig conferiren und das Resultat wird immer höchst merkwürdig seyn, weil der französische und deutsche Geist vielleicht noch niemals einen so wunderbaren Wettstreit eingegangen haben.
Bey dieser Gelegenheit habe ich zum erstenmal die kleine Edition des Faust gesehen. Auf obige Bedingungen wünschte ich gleichfalls ein halb Dutzend Exemplare.
Unser diesmal sehr geselliger Winter ruft gar manches hervor. So habe ich z.B. übernommen wöchentlich ein paar Stunden vor einer geistreichen Gesellschaft die Nibelungen vorzulesen, zu erklären und zu commentiren; wobey sehr interessante Puncte zur Sprache kommen, indem sowohl der ethische als der ästhetische Theil von großer und weit ausreichender Bedeutung sind.
Unser guter Freund leidet viel und sein Zustand läßt uns wenig Hoffnung. Indem seine Freunde durch Berichtigung seines ökonomischen Zustandes, durch Vorsorge für seine Kinder, ihn wenigstens einigermaßen zu beruhigen suchen; so erfahren sie, [228] daß er auch Ihrer Güte und Gefälligkeit noch manches abzutragen hat. Möchten Sie mir vielleicht vertrauen, wie viel er Ihnen schuldig ist, damit man bey einer Convention über seine Nachlassenschaft darauf Rücksicht nehmen könnte.
Herr Titel von Florenz schreibt mir vom 8. November, und ist noch in Zweifel ob das Hackertsche Porträt an mich gelangt sey. Wenn ich nicht irre so zeigten Sie mir an, daß die zehn Ducaten dafür ausgezahlt werden sollten oder schon wären. Wollten Sie wenigstens vorläufig die Gefälligkeit haben ihm melden zu lassen, daß dieß Porträt angekommen ist, und die Zahlung gelegentlich verfügen. Er heißt Wilhelm Titel und ist zu finden in Casa del Signor Biondi.