16/4563.

An den Herzog Carl August

[Concept.]

Ew. Durchl.

haben mir den Brief des jungen Jagemann, aus Paris, mitzutheilen geruht und befohlen, daß ich darüber meine Gedanken äußern möge. Ich thue dieses um so lieber, als ich aus demselben sehe, daß der junge Mann Gesinnungen eines Künstlers zeigt, der etwas zu leisten gedenkt.

Es ist schon eine schöne Einleitung, wenn man die Vorzüge der Alten und unter den neuern besonders Rafaels zu schätzen weiß; aber auch hier liegt ein Abweg an der Seite. Denn indem man die höchste Vollkommenheit, die freylich weit genug von uns, in einer unerreichbaren Region zu Hause ist, unverrückt im Auge hat und auf sie loszugehen glaubt; so schätzt man nicht genug das nähere Verdienst, das auf den Zwischenstufen steht, von dem und an dem gar manches zu lernen ist. Desto angenehmer war mirs zu sehen, wie der junge Jagemann von David und seiner Schule denkt und den Vorsatz gefaßt hat daher den möglichsten Vortheil zu ziehen.

Nicht weniger findet er schöne Gelegenheit, da jetzt nach Paris so viel zusammengebracht ist, den historischen Theil der Kunst zu studiren und die Tugenden so mancher Schulen und Meister kennen zu lernen.

[121] Denn ein liberales Anerkennen aller Talente, die wir gewahr werden, ist eine schöne Eigenschaft eines gebildeten Menschen, besonders aber eines Künstlers, die er früh zu erwerben suchen wird, wenn er sich überzeugt daß er nur dann seine eigne Fähigkeiten zu beurtheilen im Stande ist, wenn er gegen die Fähigkeiten der andern gerecht zu seyn versteht. In allen diesen Rücksichten gönne ich dem jungen Jagemann von Herzen das Glück eines längern Aufenthaltes in Paris und bin, nach seinen ersten Schritten, überzeugt, daß er diese Vortheile auf das beste nutzen wird.

Ew. Durchl.

W. den 28. Sept.

unterthänigster

1802.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1802. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7409-1