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An Johann Heinrich Meyer

Wenn Sie, mein Theuerster, diese Zeit in die Ferne nichts von mir vernommen, so war es darum, weil ich eben jetzt Ihre Nähe gar sehr vermißte: Das dritte Heft von Kunst und Alterthum hab ich ausgefertigt, wobey denn freylich Ihr Berath und Beyfall mir sehr heilsam gewesen seyn würde. Veranlaßt durch ein Werk des verstorbenen Bossi in Mayland: über das Abendmahl des Leonardo da Vinci, bey Gelegenheit von Durchzeichnungen die der Großherzog mitgebracht, welche Bossi selbst über verschiedene Copien des Bildes verfertigt, noch mehr angeregt von Bemerkungen welche Ga(tano Cattaneo diesen Blättern hinzugefügt, habe einen Aufsatz geschrieben, der beynahe fünf gedruckte Bogen füllt und das dritte Heft abschließt. Zu meiner großen Erbauung habe bey dieser Gelegenheit mich um Leonardo's Lebensgeschichte und den Inhalt seiner Schriften in der Nähe bekümmert, da man denn mit [64] immer neuer Verwunderung dieses außerordentliche Talent betrachten lernt.

Auch ist der Abdruck eines Manuscripts der Vaticana von seinem Trattato della Pittura in vorigem Jahr zu Rom erschienen, worin mehrere bisher unbekannte Capitel, ja Bücher, befindlich, und auf 22 Kupfertafeln kleine, leichte, geistreiche Figuren beygefügt, wie sie Leonardo zwischen seine Manuscripte hineinzuschreiben pflegte. Es ist nicht unwahrscheinlich daß diese Copie, mit großer Sorgfalt, was Text und Kupfer betrifft, im sechzehnten Jahrhundert gemacht worden. Der römische Herausgeber, unter Beystand des Herrn de Rossi, hat es an größter Sorgfalt nicht fehlen lassen. Nur ein flüchtiger Blick welchen ich hineinthun konnte überzeugt mich von dem großen Gewinn der uns dabey zu Theil wird.

In vielen andern Stücken war mein jenaischer Aufenthalt gleichfalls fruchtbar; Ein Heft zur Morphologie ist vorbereitet, am Divan der Druck angefangen und so wollen wir sehen was wir dieses Jahr fördern können.

In der Naturwissenschaft wird durch vorzüglich gute Köpfe das Summa Summarum gezogen von verschiedenen Capiteln, wodurch uns denn der Erwerb mehrerer Jahrhunderte mit Bequemlichkeit zu Theil wird. Curt Sprengels Geschichte der Botanik und des Dresdner Carus Handbuch der Zootomie geben uns die erfreulichsten Übersichten. Ich, für meine [65] Person, habe dabey die Zufriedenheit, daß meine alten Ideen sich täglich mehr bestätigen und der Einfluß meiner Arbeiten auf die Wissenschaft nach und nach anerkannt wird. Dieses kommt mir sehr zu Paß da ich wirklich einige Ermuthigung brauche wenn ich meine alten Papiere, die mir solchen Bemühungen sehr zerstückelt übrig sind, confrontiren und redigiren soll.

Wünschenswerth ist es für uns daß Sie bald wiederkehren, ob es für Sie selbst ersprießlich und heilsam ist, werden Sie am besten fühlen und beurtheilen. Die Aussicht auf den See läßt sich freylich im mittlern Lande nicht ersetzen, indessen hab' ich mich so gut als möglich postirt, indem ich in Jena mein Quartier über der Camsdorfer Brücke, in dem Erker der Tanne genommen, wohin Sie denn schönstens eingeladen sind um wenigstens eines rauschenden Flusses, einer rauschenden Stadt und eines anmuthigen Thales nicht zu ermangeln. In diesem Jena selbst, das jetzt so viel Lärm in die Welt sendet, ist es stiller als niemals, weil jeder in seinem eignen Laboratorium die Raketen und Feuerkugeln verfertigt, womit er die Welt in Staunen setzen und wo möglich entzünden möchte. Bey diesen Eruptionen sitz ich ruhig wie der Einsiedler auf der Somma. Und hiermit allen guten Geistern empfohlen.

Weimar den 24. Februar 1818.

G. [66]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7415-3