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An Johann Gottfried Röderer

am 21ten Sept. 1771.

Wie mir's geht, wird Ihnen Hr. Hasner sagen, und wie angenehm es mir ist schrifftliche Zeugnisse zu sehen, daß Ihre Liebe, Ihr Vertrauen zu mir, durch die Entfernung eher vermehrt als verringert worden ist, brauch ich wohl nicht zu erhärten, da Ihnen bekandt ist, wie sehr ich da Anteil nehmen muß, wo ich Geist und Bewegung fühle.

Es war uns nicht gegeben, näher bekanndt zu werden, und durch den Umgang uns wechselsweise zu nutzen, und doch sind wir vielleicht besser verbunden als manche Jugendgesellen, hier gilt kein Verjährungsrecht, ein einziger Aufblick läßt uns ein wechselseitiges Interesse erkennen; ein einziger Tapp im Dunkeln ist offt mehr wehrt als ein Spaziergang am schönsten Sonnentag.

[24] Es freut mich daß mein Reden unter Ihnen mit exousia gesalbt war, und daß der Geist alles des was lebt, meine Worte zum fruchtbaren Regen geschickt hat, lechzenden Pflanzen Munterkeit und Elasticität zu erneuern.

Die Gelegenheit die Sie finden praktisch an die Baukunst zu gehen, ist fürtrefflich. Wenn der Künstler nicht zugleich Handwerker ist, so ist er nichts, aber das Unglück! unsre meiste Künstler sind nur Handwerker. So lang's denn da bey alletags Gebäuden bleibt, da geht's noch so ziemlich; sobald Pallast oder Monument aufsteigen soll, ist ihr Feenstab zu schwach. Und dazu braucht man eigentlich den Baumeister, ieder Bauer giebt dem Zimmermann die Idee zur Schöpfung seiner Leimen Hütte, wer soll Jupiters Wohnung in die Wolken thürmen? wenn es nicht Vulkan ist, ein Gott wie er.

Ja der Künstler muß eine so große Seele haben, wie der König für den er Sääle wölbt, ein Mann wie Erwin, wie Bramante.

Das größte Meisterstück der deutschen Baukunst, das Sie täglich vor Augen haben, das Sie mit Muse bey genialischen Stunden durchdenken können, wird Ihnen nachdrücklicher als ich sagen, daß der grose Geist sich hauptsächlich vom kleinen darin unterscheidet, daß sein Werk selbstständig ist, daß es ohne Rücksicht auf das was andre getahn haben, mit seiner Bestimmung von Ewigkeit her zu coexistiren scheine; da der [25] kleine Kopf durch übelangebrachte Nachahmung, seine Armuth und seine Eingeschränktheit auf einmal manifestirt.

Wie manchmal, von diesem Standorte betrachtet, sinken die größten Gebäude ins kleine, wie Bürgershäuser vom Münster gesehen.

Leben Sie wohl, denken Sie auch auf dem Münster an mich. Und wenn Sie meinen Namen in einem der Eckpfosten sehen, so ahnden Sie Sich dahinauf zu mir, in eine Zeiten zurück, da wir uns noch nicht kannten, und fühlen Sie alle Wonne die ich fühlte. Damals wünscht ich mir viel Menschen um mich wie ich Sie ietzt kenne. Leben Sie wohl.

Goethe.


Wenn Sie es als Theolog übers Herz bringen können, so versagen Sie mir Ihre Stimme nicht, da ich bey der Gesellschaft durch Hrn. Jung um einen Ehrentag des edlen Schakspears ansuche.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1771. An Johann Gottfried Röderer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7421-7