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An Kaspar von Sternberg

Der sechs und zwanzigste Februar, als Datum des ehrenvollen mir zugewandten Diploms mußte mir höchst rührend seyn, da ich mich aus den Bülletins der Ärzte genugsam überzeugt hatte, daß gerade an demselben Tage die rückkehrende Hoffnung eines neuen Lebens eintrat. Wie bedeutend werden nicht solche Zufälligkeiten! und wie schön ist's, wenn wahrhafte Neigung und wechselseitig durchdringende Kenntniß des Charakters und des Bestrebens sie wohlwollend herbeyführen.

Den ausgezeichnet erfreulich-gewichtigen Brief hätte ich schon längst dankbar erwidert, wäre das neue Heft Kunst und Alterthum zur rechten Zeit fertig geworden; wie die Sache jetzt steht, glaube ich es selbst erst mit nach Böhmen bringen zu können.

Und so find ich denn unmittelbaren Anlaß zu melden, daß mein gnädigster Herr, der Großherzog, [85] im Begriff steht, nach Marienbad abzugehen, wohin ich ihm bald zu folgen gedenke; wir hoffen, daß einige krankhafte Anzeigen, die sich in diesen Tagen bey unserer unschätzbaren Großherzogin bemerken ließen, diesem löblichen und von den Ärzten als nothwendig ausgesprochenen Vorhaben nicht hinderlich seyn werden.

Was aber die Wünsche der zu der geistlichen Heilquelle Wallfahrtenden für einen Inhalt haben, darf ich wohl nicht mit Worten aussprechen. Möchten Sie dieser leisen Andeutung eine günstige Auslegung verleihen.

In dem nächsten Hefte zur Morphologie, welches freylich auch schon fertig seyn sollte, vielleicht aber auch von mir mitgebracht wird, empfehle einen Aufsatz von Ernst Meyer, geschrieben auf meine vorgedruckte Veranlassung. Er Bewegt sich um einen wichtigen Punct, der zur Erörterung reif ist; auch ein junger Botaniker, Doctor C. H. Schulz, Privatdocent in Berlin, von dessen Werke Die Natur der lebendigen Pflanzen ich nur einzelne Auszüge gesehen, dringt gleichfalls auf denselbigen. Man sieht, wie bey dem Vorstreben des menschlichen Geistes gewisse Ideen aller Orte reif werden und hervortreten.

Dürft ich wohl hoffen, Verehrtester, daß Sie mir zum nächsten morphologischen Hefte auch einen freundlichen Beytrag gäben? ich würd bitten, daß es ein Commentar wäre zu einer Stelle Ihrer gehaltreichen [86] Rede und zwar zu pag. 47 von lin. 11 bis pag. 48, lin. 10; ich wünsche mir selbst eine reine Übersicht, die Sie alleine geben können, da Ihnen das Einzelne so gründlich gegenwärtig ist.

Hier nur eine Vorfrage: wo gehören die in der Gegend von Falkenau sich häufig vorfindenden Pflanzenabdrücke in Sandstein hin? Ich glaube den Wegbreit und Buchen-ähnliche Blätter darin zu entdecken.

Von welcher Gegend hat der Pläner Kalk seinen Namen? und wär es wohl thunlich, auch uns einige Abdrücken davon mitzutheilen? Durch Ihre Güte besitzen wir nun das Älteste dieser Art. Sollten denn auch die Ilmenauer dahin zu rechnen seyn? in denen wir nur Farrenkräuter, Rohrstengel und Blätter bisher gewonnen haben. So manches Andere, was Sie mit anzukündigen die Güte haben, gibt mir schöne Aussichten in einem Fache, von dem ich mich nun einmal nicht lossagen kann.

Geheimerath v. Leonhard sendet mir die Aushängebogen seines Werks Charakteristik der Felsarten; ich danke ihm diese Freundlichkeit gar sehr, denn wenn es wird fertig seyn, so muß man sich zu einer so überschwänglichen Erfahrungsmasse ganz neu wieder einrichten. Der Geist hat denn doch nur einen gewissen Grad von Fassungskraft; was sich in das Nichtzuunterscheidende hinbewegt, hört auf begreiflich zu seyn. Indessen freut mich's, daß meine vieljährigen redlichen Bemühungen mich doch in den Stand setzen, [87] in diese sich immer erneuende und erweiternde Welt mit hineinzusehen.

Ein junger Genfer Namens Soret, der sich schon durch mancherley Aufsätze in der Bibliothèque universelle bekannt gemacht und gegenwärtig unserem jungen Prinzen beygegeben ist, waltet in der neusten crystallographisch und chemisch bestimmenden Erd-und Steinkunde frisch und bequem und ist mir, wie außer dem in andern Rücksichten, ein sehr angenehmer Nachbar und Gesellschafter.

Wie doch das Herkömmliche, schon lange Zeit Bekannte, sich nach und nach möglichst Entwickelnde und Erweiternde freundlich zusagt, habe ich erst jetzt wieder erfahren an der zweyten Ausgabe der Mineralogie von Cleaveland in Boston; er hat in Freiberg studirt, viel gereist und durch ausgebreitete Verhältnisse von allem Neuentdeckten und Neubesprochenen Kenntniß genommen. Es ist noch der alte Grund und Boden, auf dem man wandelt, der nicht jeden Augenblick mit uns auf- oder niederzugehen droht; und doch findet man das Werk vorschreitend und bis auf die neusten Zeiten hinlänglich; und so muß man sich zwischen Bestehen und Umwälzen hinhalten.

Die Jenaische Literatur-Zeitung begünstigt meine naturhistorischen Arbeiten durch eine gründliche Recension, die mich aber freylich wieder zu neuer Mühe verpflichtet. Sich genau gekannt, das Haltbare gebilligt, das Bedenkliche bemerkt zu sehen, fordert zu [88] besonderer Prüfung auf, welche jedoch anzustellen meine Jahre so wie meine Zustände geeignet und geneigt sind.

Die Bohrversuche wurden auch in unserer Gegend vorgenommen; doch scheinen sie in der neuern Zeit zu stocken. Bey Gera ging man sehr tief in den bunten Sandstein; etwa drey, vier Stunden von Weimar in der Fläche hinter dem Ettersberg machte man die Probe auf einem verlassenen früheren Versuch. Glenck sprach vor einiger Zeit bey mir ein und sagte mir zu, durch seinen Sohn, den er in der Gegend ließ, von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben; dieser blieb aus, und da die Sache unmittelbar befohlen und eingeleitet worden, so konnt ich bey keiner Behörde Nachricht erhalten. Sonstige allenfallsigen Erfolg, auch meine Gedanken darüber theile nächstens mit. Im Geognostischen schaffen uns diese Unternehmungen manche Klarheit und müssen im Einzelnen gewiß Vortheil bringen.

Noch gar manches hätte zu sagen und zu erwidern, möge dieß in Böhmen mündlich geschehen. Auf alle Fälle melde die Ankunft in Marienbad sogleich, wenn auch nur mit wenig Worten. Tausendmal mich freundlichem Andenken empfehlend.

treu verbündet

Weimar den 20. Juni 1823.

J. W. v. Goethe.


Vorläufig erbitte mir eine geneigte Aufnahme des Wenigen, was ich über die Gesellschaft des vaterländischen [89] Museums in meinem letzten Hefte geäußert, welches leider auch noch nicht typographisch abgeschlossen ist.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7425-0