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An Philipp Christoph Kayser

Ich freue mich daß Sie an dem kleinen Singspiel eine Art von italiänischer Gestalt gefunden haben, geben Sie ihr nun den Geist damit sie lebe und wandle.

Die litiganti habe ich leider noch nicht, sobald sie kommen sollen sie auch wieder an Sie fort. Vielleicht kann ich Ihnen auch die neuste Oper von Paesiello il Re Theodoro bald nachschicken.

Sie thun sehr wohl solche Muster sich vor die Seele zu stellen, ein anders ist nachahmen, ein anders nach Meistern, die gewisse Formen des Vortrags durchstudirt haben, sich bilden.

Ich erwarte nun Ihre Fragen um nichts überflüssig zu schreiben.

Auf Ihre erste und vorläufige folgendes.

Ich habe im Rezitativ weder den Reim gesucht noch gemieden. Deswegen ist es meist ohne Reim,[47] manchmal aber kommen gereimte Stellen in demselben vor, besonders wo der Dialog bedeutender wird, wo er zur Arie übergeht, da denn der Reimanklang dem Ohre schmeichelt. Weiter ist keine Absicht dabey und gedachte Stellen bleiben deswegen immer Rezitativ, der Componist mag sie nachher trocken oder begleitet ausführen. Eben so zeichnet sich, was nach meiner Absicht, melodischer Gesang seyn sollte, durch den Rhytmus aus, wobey dem Componisten freybleibt bey einigen Arien zu verweilen und sie völlig auszubilden, andre nur als Cavatinen pp vorübergehen zu lassen, wie es der Carackter der Worte und der Handlung erfordert. Sollten Sie aber da wo ich Rezitativ habe, eine Arie, und wo ich Arie habe, ein Rezitativ schicklicher finden; so müssten Sie mir es erst schreiben, damit die Stelle gehörig verändert würde.

Überhaupt wünschte ich daß Sie mir von Zeit zu Zeit schrieben, wie Sie das Stück zu behandlen gedächten, besonders wenn Sie es einmal im Ganzen überlegt und wegen kluger Vertheilung des musikalischen Interesse sich einen Plan gemacht haben.

So sind z.E. obgleich das Stück auf Handlung und Bewegung gerichtet ist, an schicklichen Orten dem Gesang die schuldigen Opfer gebracht. Wie die Arien:

Hinüber Hinüber pp

Sie im tiefen Schlaf zu stören p

O kannst du noch Erbarmen p

[48] Eben so steht der Gesang: Nacht o holde! zu Anfang des vierten Acktes als das, in den letzten Ackten der Italiänischen Stücke, beliebte und hergebrachte Haupt Duett da. u.s.w. und tausend solcher Absichten von Anfang bis zu Ende die Sie alle wohl ausstudiren werden.

Musse nehmen Sie Sich so viel Sie wollen. Könnte das Stück künftigen Januar aufgeführt werden; so wäre es artig, ist's nicht; so ist auch nichts verlohren. Von der Prosodie und anderm nächstens. Leben Sie recht wohl und schreiben bald.

Weimar d. 25. Apr. 1785.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1785. An Philipp Christoph Kayser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-744B-B