4/878.
An Charlotte von Stein
Darmstadt d. 1. Jan. 1780.
Seitdem wir uns an den Höfen herumtreiben und in der sogenannten grosen Welt hin und her fahren ist kein Seegen für die Correspondenz. Das schöne Jahr haben wir in Dieburg mit kleinen Spielen angefangen, wo Diedens der Stadthalter seine Schwägerinn, Graf Nesselrodt zusammen waren. Heut sind wir wieder hier, morgen in Homburg, Dienstag wieder hier, wo die Erbprinzess das Melodrama geben wird.
[158] Seit einigen Tagen hat eine herrliche Kälte Himmel und Erbe aufgeklärt. Der Herzog ist munter und erkennt sich nach und nach im alten Elemente wieder, beträgt sich vortrefflich, und macht köstliche Anmerckungen. Von mir kann ich das nicht rühmen ich stehe von der ganzen Nation ein für allemal ab, und alle Gemeinschafft die man erzwingen will, macht was halbes, indess fuhr ich mich so leidlich auf als möglich. Hier gefällt mir die Prinzess Charlotte (der verwünschte Nahme verfolgt mich überall) doch hab ich auch nichts mit ihr zu schaffen aber ich seh sie gerne an, und dazu sind ia die Prinzessinnen.
Wenn Sie iezt von dieser Welt wären könnt ich mit einer schönen Anzahl Schilderungen aufwarten coll amore dell odio gezeichnet. Es ist unglaublich was der Umgang mit Menschen die nicht unser sind den armen Reisenden abzehrt, ich spühre ietzt manchmal kaum dass ich in der Schweiz war. Adieu und Glückliches neues Jahr. Ich muss aufhören meine Feder ist zu elend und in einem Schloss ist wie Sie wissen nichts zu haben.
Homburg d. 3. Jan.
So ziehen wir an den Höfen herum, frieren und langeweilen, essen schlecht und trincken noch schlechter. Hier iammern einen die Leute, sie fühlen wie es bey ihnen aussieht und ein fremder macht ihnen bang. Sie sind schlecht eingerichtet, und haben meist Schöpfe[159] und Lumpen um sich. Ins Feld kan man nicht, und unterm Dach ist wenig Luft. Ihren Brief vom 27. Dez. erhielt ich gestern, schreiben Sie mir nun ich bitte nach Eisenach bey Streibern abzugeben Wir sind übrigens sehr wohl, die Bewegung, die frische Lufft thun das ihrige und die Sorglosigkeit ist eine nährende Tugend.
Hab ich Ihnen schon geschrieben, dass ich unterweegs eine Operette gemacht habe? Die Scene ist in der Schweiz, es sind aber und bleiben Leute aus mei ner Fabrick. Kayser soll sie komponiren und wenn ers trifft, wird sichs gut spielen lassen es ist eingerichtet dass es sich in der Ferne, bey Licht gut ausnimmt.
Den sogenannten Weltleuten such ich nun abzupassen worinn es ihnen denn eigentlich sizt? Was sie guten Ton heisen? Worum sich ihre Ideen drehen, und was sie wollen? und wo ihr Creisgen sich zuschliest? Wenn ich sie einmal in der Tasche habe werd ich auch dieses als Drama verkehren. Interessante Personae dramatis wären
Ein Erbprinz
Ein abgedanckter Minister
Eine Hofdame
Ein apanagirter Prinz
Eine zu verheurathende Prinzess
Eine reiche und schöne Dame
Eine dito hässlich und arm.
[160] Ein Hofkavalier der nie etwas anders als seine Besoldung gehabt hat.
Ein Cavalier auf seinen Gütern der als Freund vom Haus bey Hofe tracktirt wird. Ein Avanturier in französchen Diensten eigentlicher: in französcher Uniform.
Ein Chargé d'affaires bürgerlich.
Ein Musickus, Virtuoso Komponist beyher Poete.
Ein alter Bedienter der mehr zu sagen hat als die meisten.
Ein Leibmedikus
Einige Jäger, Lumpen, Cammerdiener und pp.
Diese Nachricht bitte als ein Geheimniss zu verwahren denn ob es gleich nicht viel gesagt ist so könnte mir doch ein andrer den Braten vorm Maul wegnehmen. Adieu beste. In Eisenach find ich was von Ihnen. Bald wirds von uns nicht mehr heissen sie kommen sondern sie sind da.