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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Theurer, verehrter Freund, so lange hab ich geschwiegen und blieb doch immer in Ihrer Nähe; davon sollte das neuste Stück Morphologie p. Zeugniß geben, dessen Ausgabe jedoch sich gar zu sehr verspätet hat, so daß ich nicht einmal weiß, ob ich's mit Gegenwärtigem übersenden kann.

Zuvörderst also den lebhaftesten Dank für die Beförderung des chromatischen Unternehmens! Von Henning scheint sich die Sache recht gut zu finden; er ist vollkommen auf dem rechten Wege und wird, wenn Sie ihn fernerhin führen und leiten, gewiß zum Ziele kommen. Ich habe ihm mit vielen Worten und mit einigem Apparat beyzustehen gesucht, und werde weiterhin immer denken was nütze seyn könnte. Sie[64] thun dabey das Beste. Mögen Sie ihm Mittel verschaffen, mich in den Michaels-Ferien zu besuchen, so würde viel in kurzer Zeit gethan seyn.

Ich bilde mir zu den älteren Freunden, die mir das gute Schicksal erhalten hat, einen Anschluß von jüngeren. um eine künftige Ausgabe meiner Werke, Schriften, literarischen und wissenschaftlichen Nachlasses zu sichern. Und eben unserm von Henning wollte ich, wenn Sie es billigen, meine sämmtlichen chromatischen Sammlungen und Papiere übergeben, daß er sie redigire und den Band meiner Farbenlehre verkörpere; dazu wäre denn freylich persönliche Gegenwart und mündliche Besprechung nöthig.

Denn bey meinem viel hin- und hergefordeten Thun und Lassen komm ich zu spät an denselben Platz zurück; deswegen muß ich Mitarbeiter suchen je eher je lieber.

Die morphologischen und wissenschaftlichen Hefte würde ich fortsetzen, aber nicht wie bisher zusammen, sondern getrennt und in geringerer Bogenzahl. Zunächst wünscht ich, Ihren Aufsatz über die physiologen Farbenerscheinungen abdrucken zu dürfen; ich habe ihn erst wieder durchgelesen und wüßte nichts Besseres zu wünschen; nach Marienbad nehm ich ihn mit, daran dort abermals zu studiren.

Und so ist es denn ausgesprochen, daß ich wieder nach Böhmen gehe; das geistliche Bad hat mir vor'm Jahre gar zu wohl gethan und mir über vergangenen[65] Winter glücklich hinaus geholfen; und dann ist es auch im ethischen Sinne nothwendig, einmal wieder fremde Menschen und Gegenden zu sehen, ohne sich allzusehr zu zerstreuen.

Ich fahre fort anders zu berichten. Ein Auszug aus Purkinje mit hinzugefügten Bemerkungen liegt schon seit einem Jahre bey mir und würde, wenn erst Ihr Aufsatz gedruckt ist, gar wohl folgen können. Ich bin so weit gegangen, seine Tafel nachstechen zu lassen, da sich der sonderbare Fall ereignet, daß unser geschickter Kupferstecher, Schwerdgeburth, ähnlichen Gespenstern unterworfen ist, deshalb er sich dieser Arbeit mit Liebe und Glück unterzog, wie Sie, beygehenden Abdruck mit dem Original zusammenhaltend, ersehen werden. Mein Wunsch wäre überhaupt, meine Überzeugung überall, wo nur möglich, anzuschließen; denn die Tendenz unserer Zeit, sich im Sinne zu isoliren, da man im Munde die allgemeine Liberalität trägt, ist Hinderniß an allem Guten; die Menschen merken nicht, daß sie auf diese Weise ihre eigenen Feinde sind; umgekehrt wären und beständen sich alle besser.

Das wunderliche Unternehmen, mich in die schrecklichen Zustände von 92 und 93 zu versetzen, ist Ihnen wohl vor Augen gekommen, und ich wünsche daß Sie es nicht mißbilligt haben. Ich bedurfte einer Arbeit die mich den Winter über beschäftigte; die Darstellung reiner gefühlvoller Tage meines Lebens, wie der ersten Abtheilung vierte Band fordert, wollte nicht gelingen, [66] obgleich die Hälfte schon geschrieben ist; da griff ich zum Widerwärtigsten, das durch milde Behandlung wenigstens erträglich werden kann.

Soviel sey für dießmal gesagt, und mit unsern besten Wünschen und Grüßen die preßhafte Dame angekündigt, welche nächstens erscheinen und sich zu wohlgemeinter Cur angelegentlich empfehlen wird.

Und nun zum Schluß den lebhaft bringenden Wunsch, von Ihrem Befinden, auch Thun und Lassen, in so fern es mittheilbar wäre, nach Marienbad zu vernehmen.

treulichst

Weimar den 12. Juni 1822.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-746F-C