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An Wilhelm von Humboldt

[Concept.]

Wenn der Januar nicht vorbey gehen soll, ohne daß ich einen Brief an Sie abschicke, so muß ich mich, aus dem Stegreife, einen Abend, da alles in der Comödie ist, entschließen zu dictiren, ohne daß ich eben weiß was ich zu sagen habe. Denn was könnte ich Ihnen sagen, da Sie im Genuß alles dessen sind über dessen Entbehren ich zeitlebens nicht zur Ruhe komme. Es vergeht kein Tag, daß ich nicht beym Anblick des großen Prospects von Rom, oder irgend einer andern Charte, besonders da mein Knabe jetzt römische Antiquitäten studirt, halb unzufrieden ausrufe: Diesen Weg können nun die Freunde machen, wenn es ihnen beliebt! Sie gehen um die Colossen auf Monte Cavallo, die ich nur noch wenige Minuten in meinem Leben zu sehen wünschte, ganz bequem herum und von da hängt es blos von ihnen ab, sich zu andern köstlichen Gastmahlen hinzubewegen, indeß wir arme Nordländer von den Brosamen leben, die keineswegs vom Tische fallen, sondern die wir uns, noch überdieß, mit Mühe, Zeit und Kosten zu verschaffen haben. Damit Sie aber geneigt werden, mir zu jeder Stunde auch nur das Augenblicklichste Ihres Zustandes zu melden; so will ich, ohne Bedenken, ob das was ich schreibe auch werth sey eine so große Reise zu machen, hiermit folgendes erzählen.

[172] Eine Indisposition, die mich übrigens an einer leidlichen Stubenexistenz nicht hindert, hält mich, seit dem Anfange dieses Jahrs, zu Hause, hier sind die 1400 Mionnetischen Schwefelpasten antiker Münzen, für die Anschauung ein großer Gewinn. Ich habe sie so lange angesehen und von allen Seiten betrachtet, bis ich fremder Hülfe bedurfte, dann nahm ich Eckhels fürtreffliches Werk vor, und freute mich an der breiten Erfahrung, an dem schön geordneten Vortrag, an der großen Redlichkeit zum Geschäft und der daraus herfließenden durchgängigen Treue.

Wie angenehm ist mirs, keinen Widerspruch mit meinen eignen Ansichten und zugleich das ganze historische Bedürfniß so kräftig und zweckmäßig dargestellt zu finden.

Hierzu tritt noch Meyer mit seinem scharfen Blick in die Unterscheidungszeichen der Kunstepochen, dadurch denn eine schöne Unterhaltung bewirckt wird.

So sieht es also von dieser Seite, wenigstens im kleinen Format, noch ziemlich leidlich aus! Ferner sind mir einige eigenhändige Radirungen trefflicher Meister, diese Tage, zugekommen, wodurch ich in die Eigenthümlichkeit ihres Naturells und ihrer Studien ganz erfreuliche Blicke werfen konnte, so wie die Kenntniß des Ganzen doch immer dadurch erhalten und aufgefrischt wird.

Die Stunden, in welchen etwas Productionsähnliches bey mir sich zeigte, habe ich auf die neue Ausgabe [173] meiner Übersetzung des Cellini verwandt, wozu ich, in einem Anhang, einiges hinzufüge, das den Zustand damaliger Zeit und Kunst einigermaßen näher bringen soll. Wenn Sie es künftig einmal in Rom lesen, so haben Sie Nachsicht! Es sind mehr Nachklänge als daß es der Ton selbst wäre.

Schiller wird wohl selbst schreiben. Ich habe ihn in mehrern Tagen nicht gesehen, er hält sich auch zu Hause, um eine Arbeit zu vollenden, die er sehr glücklich angefangen hat.

Meyer hat sich in diesen Tagen verheirathet und ist, wie billig, in seiner eignen Häuslichkeit geschäftig.

So haben Sie also, von einem ziemlich einsamen Freund aus Norden, wo es seit länger als vierzehn Tagen, ohne Schnee, sehr heiter kalt ist, die ersten Nachrichten. Ich werde fortfahren, gegen Ende jedes Monats Ihnen ein Blatt solcher Confessionen zu schicken und bitte mir das Gleiche aus. Ich weiß von Alters her, daß man entfernten Freunden gar nicht schreibt, wenn man darauf warten will, bis man ihnen etwas zu schreiben hat. Daß ich Ihnen beyden für die Nachrichten von Florenz und für alle freundliche Erinnerung von Herzen danke, versteht sich. Können Sie mir, da Sie wissen was mich freut, gelegentlich etwas schicken, so werden Sie mich sehr verbinden. Bezeichnen Sie mir nur, ohne Umstände, Ihren Geschäftsträger, dem ich die Auslagen sogleich erstatten kann. Vielleicht nimmt Fernow was mit? [174] Denn man wünscht doch immer wieder, durch etwas Gutes, neu gereizt zu werden. Bey meiner Durchreise durch Kassel bemerkte ich einen sehr schönen Kopf in Marmor, einer wahrhaften Venus Urania, davon ich jetzt einen Abguß besitze; leider ist das Original beschädigt und der Abguß ungeschickt geformt. Und doch macht er mir große Freude. Wie glücklich sind Sie, in der Nähe so mancher unschätzbaren Originale zu wohnen. Küssen Sie der Minerva Iustiniani doch ja von mir die Hand.

Wie es jetzt in Rom mit den sogenannten Ciceronen, mit den Künstlern und dem Kunsthandel aussieht, schreiben Sie mir doch ja und gedenken Sie mein auf allen sieben Bergen, so wie im Tiberthal, von Ponte Molle bis nach St. Paul fuor de mura, und über alles erhalten Sie sich gesund.

W. d. 27. Jan. 1803.

Bisher habe ich mich mit den beyden Freunden besprochen, das fernere soll an die liebe Frau besonders gerichtet seyn.

Sie haben mir, durch den Bericht über die Gemählde in Spanien, einen Schatz hinterlassen, für den ich Ihnen nicht genugsam danken kann. Er wird oft genug consultirt, wenn die Rede davon ist, wohin manches bedeutende Gemählde gekommen sey. Nun werden Sie aber auch mancherley Fragen nicht entgehen, die ich aus Rom von Ihnen beantwortet wünschte.

[175] Zuvörderst wollte ich Sie bitten mir von den lebenden Künstlern einige Nachricht zu geben, und zwar vor allen Dingen von den deutschen. Wer daselbst übrig geblieben, oder neuerlich hingekommen? wie es mit ihrer Persönlichkeit steht und ihren Arbeiten, was sie am besten machen, was sie fertig haben, was sie sich für ihre Arbeiten, wenn man sie bestellte, bezahlen lassen? Besonders wie es mit Reinhardt ist. Sehen Sie sich doch auch nach einem Stuttgarder um, der sich auszeichnen muß, dessen Nahmen ich aber vergessen habe.

Ehemals war auf dem Corso ein Kunsthändler, den man den Genuesen hieß, er hatte meist nur alte Sachen. Besteht er noch? und wie siehts in seinem Laden aus?

Ist vielleicht, aus dieser Sündfluth der Revolution, irgend etwas neues der Art entstanden?

Überhaupt thun Sie es ja, daß Sie mir, wenn Humboldt auch nicht Zeit hat, alle Monate schreiben, Sie sollen in gleicher Epoche einen Brief von mir haben, der wenigstens meinen Zustand ausdruckt, andere Freunde und Freundinnen werden wieder, von andern Seiten, die Fäden fortspinnen, die Sie mit uns verbinden.

Daß Frau von Wolzogen zurückgekommen ist, wissen Sie wohl schon, daß sie aber von ihrer republikanischen Reise als die entschiedenste Tyrannenfeindin zurückgekommen, ist Ihnen vielleicht noch nicht[176] so ganz klar. Ich muß Sie hiervon benachrichtigen, damit es Sie nicht überrascht, wenn uns die Verfasserin der Agnes von Lilien nächstens mit einer Charlotte Corday in Erstaunen setzen sollte.

Lassen Sie sich es auch nicht verdrießen, mir von Jahrszeit und Witterung einiges zu melden, man mag doch gar zu gern wissen wie sich der Himmel in fremden Landen aufführt. Bey uns ist nach langer anhaltender trockner Kälte seit gestern die erste Schlittenbahn. Und hiermit meine besten Wünsche für Ihr Wohl.

W. d. 29. Jan. 1803.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1803. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7482-D