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An Friedrich August Wolf

Der Gartenliebhaber pflegt von den Früchten seines kleinen Bezirks, die er mit Sorgfalt gewartet, wenn sie reif werden, seinen Freunden gewöhnlich einen Theil zu übersenden, nicht eben weil er sie für köstlich hält, sondern weil er anzeigen möchte, daß er die ganze Zeit über, da er sich mit ihnen beschäfftigte im stillen an diejenigen gedacht habe, die ihm werth sind.

In diesem Sinne erhalten Sie meinen geendigten Roman, ein Buch das ich nicht in ein Museum schicken würde wo es unmittelbar neben die Alten zu liegen kommt, wenn ich mir nicht von dem Bewohner einige Gunst und Nachsicht zu versprechen hätte.

Vielleicht sende ich Ihnen bald mit mehrerem Muthe die Ankündigung eines epischen Gedichtes, in der ich nicht verschweige, wieviel ich jener Überzeugung schuldig bin, die Sie mir so fest eingeprägt haben. Schon lange war ich geneigt mich in diesem Fache zu versuchen und immer schreckte mich der hohe Begriff von Einheit und Untheilbarkeit der Homerischen [296] Schriften ab, nunmehr da Sie diese herrlichen Werke einer Familie zueignen, so ist die Kühnheit geringer sich in grössere Gesellschafft zu wagen und den Weg zu verfolgen den uns Voß in seiner Luise so schön gezeigt hat.

Da ich nicht im Falle bin Ihre Schrifft theoretisch zu prüfen, so wünsche ich nur daß Sie mit diesem practischen Beyfall nicht unzufrieden seyn mögen; denn der thätige Mann will ja nicht allein überzeugen sondern auch wirken, und diese doppelte Freude erleben Sie an Ihren Schülern alle Tage. Warum kann ich doch nicht, da ich das, was mir von Zeit und Lebenskrafft übrig bleibt der Erkenntniß wahrer Kunst und, wenn der Genius will, ihrer Ausübung zu widmen hoffe, auch Ihnen näher seyn um von Ihren Arbeiten unmittelbar den erwünschten Vortheil zu gewinnen.

Leben Sie recht wohl und füllen die Lücken, die eine strenge Critik an meinen Arbeiten finden möchte durch ein fortgesetztes Wohlwollen aus.

Weimar d. 26. Dez. 1796.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Friedrich August Wolf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-74A3-5