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An den Herzog Carl August

Fortsetzung der Nachrichten von Carlsbad.

Abgesendet Sonntag den 10. Juny 1810.


Sowohl auf der ganzen Reise, als auch wie wir hieher kamen, fanden wir, daß es lange geregnet hatte. Die Wege waren deshalb sehr gut; auch waren die Bäume hier durchaus so weit ausgeschlagen als wir sie in Jena verlassen hatten. Von Blühten ist freylich wenig zu sehen. Das heitere Wetter dauerte fort bis ohngefähr den 22. Nach und nach überzog sich's, regnete einzeln, bis den 24. und 25. völliges Regenwetter eintrat, womit denn die Feldbauenden sehr zufrieden sind.

Hierauf ist es immer kälter und stürmischer geworden, so daß zuletzt Regen, Graupeln und Schnee mit einander mehrere Tage abwechselten und den Curgästen sehr beschwerlich wurden. Es zogen große Wolkenmassen von Nordwest nach Südost, und bildeten, sowohl in Bewegung als manchmal auch ruhend, die seltsamsten Formen, indem sie weder Winter- noch Sommerwolken glichen und doch gewitterartig einherzogen [319] und umherstanden. Heute den 6. Juny ist es das erstemal schönes Wetter; doch wird es kaum beständigt seyn.

Die Bankozettel haben in diesen Tagen wunderliche Veränderungen erlitten. Sie waren schon auf 375 gegen 100 gefallen, als die Juden und Handelsleute ein Gerücht aussprengten, das sich auf die Einlösungscommission, die in Prag seyn sollte, bezog. Auch hielten sie mehrere Tage inne, boten nur 350, und brachten wirklich die Neuankommenden in einige Verlegenheit. Das Gold besonders fiel wirklich. Nun aber rücken sie schon wieder 364 vor, und es ist höchst wahrscheinlich, daß das neue Papier die Sache nicht verbessern wird. Überhaupt scheint es, daß der Tod des Finanzministers, Grafen ODonel, einige Stockung in die Operation gebracht habe, deren Absicht und Folgen ein Ungeweither wohl schwerlich einsehen möchte.

Unter den gegenwärtig hier verfertigten Waren verdienen die vollständigen Bestecke chirurgischer Instrumente, welche ein Schlossermeister Blatzer, im goldenen Kegel, durch mehrere hiesige Arbeiter verfertigen läßt, alle Aufmerksamkeit. Sie sind für die Kaiserliche Armée bestimmt. Eine solche Kiste enthält alles was zum Amputiren, Trepaniren und sonstigen solchen traurigen Operationen nöthig ist, nach den neusten französischen und englischen Mustern gearbeitet, den größten Theil von Stahl, [320] einen Theil von Silber, wie es die Art und Weise der Vorrichtung mit sich bringt. Er erhält nach einem Accord, den er freylich schon vor einem Jahre geschlossen, für ein solches Ensemble 450 fl. Bankozettel; welches nach dem jetzigen Curs kaum 125 fl. gut Geld macht, wobey er freylich eher Schaden als Vortheil hat.

Die Anstalten um die jetzige Sprudelquelle sind höchst kleinlich und ängstlich. Wäre der Zudrang größer, so würde die Lage ganz unerträglich seyn. Da aber die meisten Personen am Neubrunn trinken, so behilft man sich am Sprudel wie man kann. Die Anzahl der Gäste nimmt mit jedem Tage zu, und auf den July ist in der guten Lage nicht wohl ein Quartier mehr zu finden. Prinz Anton von Sachsen mit Gemahlinn und Prinzessin Tochter ist den 5. angekommen. Heute den 6., um Mittag ohngefähr, erwartet man die Kaiserinn.

Die ganze Stadt war, wie man sich leicht vorstellen kann, in Bewegung, so wie sich auch viele Landleute herzudrängten. Eine Compagnie des in Eger liegenden Regiments zog mit klingendem Spiel ein, und belebte noch mehr das sonst stille Carlsbad. Eine Hauptwache wurde dem weißen Löwen, der Wohnung der Kaiserinn, gegenüber eingerichtet. Gegen 2 Uhr fuhr sie unter Läutung der Glocken und Abfeuerung von Böllern in Carlsbad ein. Das Gedränge [321] von der Brücke bis auf den Markt war sehr groß. Die Schützen-Compagnie umgab den Wagen, und die Obrigkeiten standen zu ihrem Empfang bereit. Vier und zwanzig weißgekleidete, mit Kränzen gezierte Mädchen machten Spalier im Hause und auf der Treppe, und überreichten ein Gedicht.

Die von den Sächsischen Herrschaften eingeführte Lebensweise wurde fortgesetzt. Ins Innere wurde niemand zugelassen. Gegen Abend begab sich die Kaiserinn zu Fuß in den sächsischen Saal, wo sie sich die sämmtlichen Anwesenden präsentiren ließ und durchaus sehr freundlich und gnädig war, auch zurückblieb, als die sächsischen Herrschaften früher, zu ihrer gewöhnlichen Stunde, sich entfernten. Nachts war Illumination, die man zwar nicht unter die brillantesten zählen konnte, die aber doch bey gutem Wetter Jedermann Vergnügen machte. Bunte Papierlaternen waren zu beyden Seiten des Wassers an dem untern Stock der Häuser angebracht, so wie auch die Bäume der Wiese damit geziert waren. Das Haus des Grafen Bolza mit durchaus erleuchteten Fenstern und der Widerschein im Wasser machte sich recht gut. In der Mitte des 3 Kreuzbergs stand wie ein großer erleuchteter Palast, dessen Etagen eine colossale Inschrift (es lebe unsere geliebte Landesmutter) in Lampenfeuer bildeten. Eine colossale Kaiser-Krone machte gleichsam den Giebel dieser Façade. Die kleine Lusthütte auf dem Hirschensprung war auch erleuchtet [322] und diese sämmtlichen Lichter in der Höhe machten einen sehr erfreulichen Eindruck.

Den 7. erschien die Kaiserinn abermals im Saal und unterhielt sich mit mehrern Personen sehr lebhaft, nachdem sie vorher das Theater besucht hatte. Den 8. war gleichfalls Präsentation und Unterhaltung im Saale. Den 9. früh fuhr die Kaiserinn in die Kirche, und machte Nachmittags in einem zweyrädrigen kleinen Wägelchen die Tour den Schloßberg hinauf durch die Findlaterschen Wege und gelangte hinter dem Promenade sehr zufrieden und versicherte, daß sie ihren Gemahl würde zu bewegen suchen, übers Jahr mit ihr herzukommen. Ihr Aussehen ist zart, aber nicht eben kränklich, so wie denn wegen ihrer Gesundheitsumstände das Publicum wie die Ärzte getheilter Meynung ist. Sie trinkt Eselsmilch, weil man ihre Brust für angegriffen hält, und scherzt oft über ihre Milchgeschwister.

Überhaupt ist sie höchst angenehm, heiter und freundlich. Stirn und Nase erinnern an die Familienbildung. Ihre Augen sind lebhaft, ihr Mund klein und ihre Rede schnell, aber deutlich. In ihren Äußerungen hat sie etwas Originelles. Sie spricht über die mannigfaltigsten Gegenstände, über menschliche Verhältnisse, Länder, Städte, Gegenden, Bücher und sonstiges, und drückt durchaus ein eigenes Verhältniß dieser Gegenstände zu ihr aus. Es sind eigene Ansichten, [323] jedoch keineswegs sonderbar, sondern wohl zusammenhängend und ihrem Standpunkt vollkommen gemäß. das sie übrigens geübt ist, einem Jedem etwas Angenehmes aus dem Stegreise zu sagen, oder zu erwidern, läßt sich denken. Ihr eigenes Betragen und das der Ihrigen nicht allein, sondern auch ausdrückliche Äußerungen fordern einen Jeden auf frey und ungezwungen zu seyn. Man veranlaßte, daß die Herrn einige Spieltische arrangirten, ja der Obrist Hofmeister, Graf Althann, spielte selbst Billard; und so wird sich mit jedem Tage die Anzahl der Aufwartenden, so wie die Behaglichkeit derselben vermehren.

Die Sächsischen Herrschaften haben seit dem ersten Augenblick ihres Hierseyns sich auf dieselbe Weise benommen. Prinz Anton ist freundlich und mittheilend.

Daß auch in der Kleidung Niemand genirt sey, so gehen die Cavaliere der beyden Höfe in Stiefeln, welches eine große Erleichterung für die Curgäste macht, welche Abends den Saal besuchen.

Fremde kommen täglich mehr an; doch findet sich darunter Niemand von älteren Bekannten. Die Fürstinn Lubomirska wird nächstens erwartet, Prinz Bernhard heute Abend. Kurz vor Abgang der Post mich zu Gnaden empfehlend

Goethe. [324]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-74E0-C