28/7929.

An Carl Friedrich Zelter

Von Weimar aus kommt mir die Nachricht, daß die periodischen Rübchen wieder glücklich angelangt sind, und so will ich mich denn durch dieses Erderzeugniß aufmahnen lassen, meine Gedanken zwar nicht, die oft bey dir sind, aber doch ein schriftliches Zeugniß derselben an dich zu wenden. Es ist so lange her, daß wir keine Nachrichten gewechselt, so daß wir also beide im Rest stehen, wie lange es aber auch sey, kann ich versichern, daß ich mich jeden Tag gemüht habe, das hast du auch gethan, noch kräftiger und nothgedrungener als ich.

Meine Neapel- und Sicilien-Reise hast du freundlich aus Schultzens Exemplar aufgenommen, und so[334] habe ich jetzt weiter nichts zu schicken; denn was an Bänden, Bändchen und Heften auf dein Theil kommt, liegt ruhig beysammen, bis zur endlichen allgemeinen Absendung.

Ich lebe zwischen Weimar und Jena; an beiden Orten habe ich Geschäfte die mir Freude machen, in Jena kann ich sogar thun und lernen zugleich; die Naturwissenschaft, besonders die Chemie, ist so lebendig daß man auf die angenehmste Weise wieder jung wird, indem man seine frühsten Ahndungen, Hoffnungen und Wünsche realisirt findet, und Belege zu dem Höchsten und Besten wozu man sich im Gedanken erheben konnte. Mein nächstes Heft zur Naturlehre soll dir, hoffe ich, manches bringen, was dir gewiß als Symbol deiner lieben und guten Vorsätze dienen wird.

Auf diese unschuldige Weise halte ich mich im Stillen, und lasse den garstigen Wartburger Feuerstank verdunsten, den ganz Deutschland übel empfindet, indeß er bey uns schon verraucht wäre, wenn er nicht bey Nord-Ost-Wind wieder zurück schlüge und uns zum zweytenmal beizte.

In solchen Fällen muß es denn auch dem Einzelnen, der an der allgemeinen Thorheit leidet, erlaubt seyn, sich mit einiger Selbstgefälligkeit zu sagen, daß er das alles, wo nicht voraus gesehn, doch vorausgefühlt, daß er in denen Puncten die ihm klar geworden nicht allein widerrathen sondern auch gerathen, und[335] zwar das was alle, da die Sache schief geht, gethan haben möchten. Dieses berechtigt mich zur Impassibilität, deshalb ich mich denn auch wie die Epikurischen Götter in eine stille Wolke gehüllt habe, möge ich sie immer und unzugänglicher um mich versammeln können.

Leider wenn ich an Musik denke, kommt es mir seltsam vor, daß ich von diesem höchsten und schönsten Genuß gänzlich abgeschnitten bin; finde ich nun dabey daß mir doch noch manches Lied gelingt und dein guter urkünstlerischer Wille mir immer zur Seite schwebt, so kommt es mir ganz wunderlich vor, daß, indessen die ganze Welt pfuscht, etwas der Ordnung gemäß nicht zu Stande kommen kann.

Ein Werk, das der Großherzog von Mayland mitgebracht hat, bezüglich auf das Abendmahl von Leonard da Vinci daselbst, hält mich sehr fest. Der Kupferstich von Morghen ist gewiß mehrmals in Berlin, wenn du ihn auch schon kennst, laß dir ihn wieder zeigen, und betrachte ihn mit ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit. Alsdann wirst du rührend finden, wenn du durch mich auf's genauste vernimmst, wie das Bild veranlaßt, erfunden, ausgedacht, ausgearbeitet, verfertigt und als Weltwunder vollendet worden, und wie es wieder allsogleich in sich selbst verfallen, vernachlässigt, beschädigt, hergestellt, und durch die Herstellung selbst völlig zu Grunde gerichtet worden. Ferner wird dich freuen, wie die [336] Mayländer durch Verehrung dieses Leichnams, durch Erhaltung und Belebung der Spur seines Andenkens sich immerfort Ehre machen.

Und so weit wären wir denn gekommen! wo ich nur, in Hoffnung einer baldigen Erwiderung, hinzufüge, Gruß an Freunde.

Herrn Schultz sage, daß ich täglich sein gedenke. Was uns beide beschäftigt, ist herrlich als Erscheinung, ehrenwerth als Theil des Naturganzen und als Symbol seiner Geschwistertheile ehrwürdig. Diesen Gruß erließ ich mit mehrerer Freudigkeit, würde mir die Hoffnung euch künftiges Frühjahr zu sehen, nicht mit jedem Tage mehr umnebelt.

Herrn Director Schadow danke zum schönsten, daß er mir die Reformations-Medaillen semmelwarm überschicken wollte, ich bekenne die Schuld und werde sie nächstens abtragen.

Da hörten wir also mit einer abzutragender Schuld auf, erinnert wie es denn eigentlich mit uns beschaffen sey.

and so forth and for ever

Jena. 16. Dec. 1817.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-74F5-D